Alles ĂŒber das Spiel Dushanbe gegen KSV

Alles ĂŒber das Spiel Dushanbe gegen KSV

Löwen-Test vor 17.000 Zuschauern
17.000 Zuschauer sahen am Samstagnachmittag einen 3:1-Sieg des KSV Hessen im Freundschaftsspiel beim FK Istiqiol Dushanbe. KSV-Vorstandsmitglied Albrecht Striegel berichtet ĂŒber ein großes Erlebnis fĂŒr alle Löwen.

 

Der große Tag ist ist da. Samstag, 03.07.2010. Während in Südafrika Deutschland gegen Argentinien um den WM-Halbfinaleinzug kämpft – kaum einer hier zweifelt daran, dass Deutschland gewinnen wird, die Sympathie gegenüber unserer Mannschaft ist riesengroß –, fiebert in Dushanbe alles dem ersten Auftritt einer europäischen Mannschaft auf tajikischem Boden entgegen. Die Statistiker haben ermittelt, dass seit 1957 nur elf ausländische Mannschaften in der ehemaligen tajikischen SSR gespielt haben, darunter Teams aus Bulgarien, Rumänien, Frankreich, der Schweiz und der Türkei. Seit der Unabhängigkeitserklärung des Landes am 09.09.1991 ist der KSV der erste Verein aus Europa, der auf tajikischem Boden spielt. Auch unsere Jungs sind heiß darauf – aber sie sind nicht die ersten Löwen, die auf dem Rasen des Nationalstadions von Dushanbe auflaufen: vor drei Jahren traten im Stadion direkt gegenüber unserem Hotel Harez Habib und Yusuf Barak für die afghanische Nationalmannschaft gegen den Ball – im WM-Qualifikationsspiel gegen Syrien.

 

Nach dem obligatorischen Morgenlauf um den Komsomolzensee findet um 11 Uhr eine Pressekonferenz im Hyatt statt. Mirko Dickhaut, Enno Gaede sowie Trainer und Kapitän von Istiqlol Dushanbe stehen etwa 25 Journalisten Rede und Antwort, das Fernsehen nimmt die Konferenz mit drei Kameras auf. Istiqlol präsentiert für dieses Spiel ein neues Trikot, dessen Brust das Wahrzeichen von Dushanbe zeigt, das Denkmal des Staatsgründers Ismaili Somoni. Die Kapitäne wünschen sich gegenseitig alles Gute, die Trainer einigen sich auf unbegrenztes Wechselkontingent, und dann beginnt die Vorbereitung auf das Spiel. Bei Kaffee und Keksen, die uns auf der Hotelterrasse serviert werden, stellt Mirko Dickhaut die Mannschaft taktisch ein und spricht ein letztes Mal die Teamaufstellung und sein Konzept für das Spiel durch. Mit Ausnahme von Moritz Murawski, der eine leichte Zehenverletzung hat und deshalb vorsichtshalber geschont werden soll, werden alle Löwen zu ihrem Einsatz kommen.   

 

Um 16 Uhr besteigen wir den Mannschaftsbus, der uns zum Stadion bringen soll. Die Trennstreifen auf der Hauptstraße und der Zebrastreifen vor dem Stadion sind frisch gemalt, was als zeichen dafür gilt, dass der Staatspräsident kommt. Das Haupttor können wir heute nicht passieren – seit kurz vor drei kann ich aus meinem Hotelzimmer beobachten, wie sich dort die Massen stauen. Eine Hundertschaft des Militärs wird angekarrt und sorgt für Ordnung. Durch ein  Seitentor wird unser Bus auf das Stadiongelände geleitet und ist sofort von jubelnden Menschenmengen – viele Besucher tragen Trkots der deutschen Elf oder europäischer Spitzenclubs, einige haben riesige Istiqlol-Banner dabei, die Stimmung ist riesig. Unser Bus hält dann direkt vor der Arena, wo bereits vier Jugendmannschaften ein Spalier bilden und uns applaudieren. Draußen wird es immer voller, der Einlaß erfolgt offenbar nach tajikischem Brauch und dauert etwas länger. Aus riesengroßen Boxen brüllt uns eine Vereinshymne mit mindestens 140 bpm entgegen, ein schmächtiger Sänger hüpft mit Mikrophon auf der Aschenbahn herum und animiert die Mengen. Unsere Mannschaft läuft ein, um sich warmzumachen, Reiner Homburg erstellt den Spielbericht mit dem tajikischen FIFA-Schiedsrichtergespann, ich wechsele noch ein paar Worte mit Attaché Christiansen von der deutschen Botschaft und werde dann auf die Ehrentribüne geführt. Dort sitze ich gemeinsam mit dem Minister für Sport und Touristik und dem Leiter der Antikorruptionsbehörde. Bislang ist der Staatschef nicht zu sehen, aber eine Weile wird es noch dauern, ehe das Spiel losgeht… 

 

Nun laufen die Mannschaften unter ohrenbetäubendem Lärm ein und stellen sich zur Nationalhymne auf. 17.000 Zuschauer sind gekommen, Rekordkulisse für so manch einen Löwen! Ein KSV-Spiel mit Nationalhymne! Ich bekomme Gänsehaut… Shakehands der Kapitäne, beim KSV trägt Michael Zepek die Binde. In der ersten Hälfte schickt Mirko Dickhaut folgende Elf auf den Platz: Jensen – Gundelach, Zepek, Latifi, Weigelt – Grembowietz, Mayer – Ochs, Pokar, Joedecke – Pforr. Bekanntester Spieler von Istiqlol Dushanbe ist Alexander Frank, der unter anderem für die U 19 vom FC St. Pauli und in der Saison 2005/2006 für Rot-Weiß Erfurt in der Regionalliga gespielt hat. Das Spiel beginnt trotz der hochsommerlichen Temperaturen, der KSV dominiert von Anfang an. Zwei böse Fouls an Bobo Mayer lassen die Partie etwas ruppiger werden, als der freundschaftliche Charakter dies erfordert, aber nach nur 17 Minuten setzen unsere Löwen eine erste Duftmarke: Getümmel im Strafraum nach einer Flanke vom rechten Flügel durch René Ochs, der Ball fällt „Zeppo“ vor die Füße, und aus drei Metern muss der nur noch einschieben. 1:0 für den KSV, es wird ruhiger im Stadion. Istiqlol läßt sich nicht beeindrucken und gefällt den eigenen Fans vor allem bei Standardsituationen. Nach einem Freistoß in der 26. Minute kommt wiederum Kapitän Michael Zepek an den Ball. Diesmal fälscht er ihn leider unglücklich ins eigene Tor ab – 1:1. Ein ohrenbetäubender Jubel brandet auf, um mich herum springen alle von ihren Sitzen und fallen sich in die Arme, ich klatsche verschämt auch etwas Beifall, als ich merke, dass ich verstohlen gemustert werde. Istiqlol wittert nun Morgenluft, erinnert mich in der Spielanlage etwas an einen Bienenschwarm. Ein klares Spielkonzept ist nicht erkennbar, dafür aber der unbedingte Wille, den Ball mit allen Mitteln in die Hälfte der Löwen zu bringen. Wirklich zittern muss ich allerdings nicht, zu ungenau sind letztlich die Abspiele in Strafraumnähe und zu ungefährlich die wenigen, meistens aus der Distanz abgegebenen Torschüsse. Dafür steigert sich die Stimmung nun mit jedem Angriff von Istiqlol, „La Ola“ wandert ums Stadionrund, die Zuschauer skandieren „Istiqlol, Istiqlol“ in einer Lautstärke, die beeindruckt. Nicht lange allerdings, denn gut zehn Minuten später nutzt unser Kopfballungeheuer René Ochs einen Stellungsfehler der tajikischen Innenverteidigung, schraubt sich hoch und wuchtet das Leder zur 2:1-Führung ins Netz. Schnell wird es wieder ruhiger. Bis zum Pausenpfiff des nicht immer souverän pfeifenden Schiedsrichters ändert sich am Ergebnis nichts mehr.  

Zur zweiten Hälfte schickt Mirko Dickhaut dann gleich neun neue Spieler aufs Feld, nur Gundelach und Grembowietz machen weiter. Die Aufstellung lautet nun: Hoffmeister – Gundelach, Grembowietz, Pavic, Heussner – Gaede, Asaeda – Damm, Koitka, Matys – Bauer. Die Löwen gegen gleich wieder Gas, haben die Partie weiter im Griff. Istiqlol spielt aufgrund zahlreicher Verletzungsausfälle fast mit der gleichen Elf weiter, und man sieht den Spielern an, dass auch ihnen die Hitze etwas zu schaffen macht. Flo Heussner bekommt es mit einen ganz unangenehmen Gegenspieler zu tun, der ihn schon kurz nach Beginn der Halbzeit mit dem Knie böse an der Nase erwischt. Erste Befürchtungen, es sei schon wieder ein Nasenbruch bei Flo haben sich zwar noch nicht bestätigt, endgültige Gewissheit werden aber erst die Untersuchungen in Kassel nächste Woche geben. Es ist aber weiter der KSV, der Spiel und Gegner kontrolliert. Istiqlol gibt sich zwar nicht auf und stürmt weiter nach vorne, die Verteidigung der Löwen steht aber bombensicher, und es ergeben sich gute Konterchancen über Tobi Damm, Totti Bauer und insbesondere Kai Koitka, der mehrere Male unglücklich vergibt. Auch Ken Asaeda weiß auf der Sechser-Position mit einer überlegten Spieleröffnung zu gefallen. Während meine Nachbarn auf der Ehrentribüne anfangen zu murren, weil Istiqlol keine Mittel findet, die KSV-Deckung zu überwinden, bin ich um den Sieg unserer Löwen schon längst nicht mehr besorgt, zu souverän haben sie das Spiel im Griff. Dann in der 80. Minute doch noch eine Schrecksekunde: Sven Hoffmeister hat einen Ball abgefangen, hält ihn sicher und will abwerfen, als ein Angreifer von Istiqlol auf ihn zustürmt. Plötzlich sind Gegner und Ball an „Hoffe“ vorbei und der Ball zappelt im Netz. Wieder springt um mich herum alles auf, ich sehe nervös zum Schiedsrichter, aber der winkt glücklicherweise ab. Hoffmeister klärt später auf: „Er hat mir den Ball mit der Hand weggeschlagen! Die Entscheidung des Schiedsrichters war völlig korrekt“. Zwei Minuten später fällt noch ein Tor. Nach einer tajikischen Lautsprecherdurchsage, der ich keine Beachtung schenke, stößt mich mein Nachbar aufgeregt an, gestikuliert und ruft „Goal Muller, Goal Muller!“ Kurz darauf wird vom Stadionsprecher übersetzt, und so erfahren wir, dass Deutschland im Viertelfinalspiel gegen Argentinien in Führung gegangen ist. Und wir hatten alles daran gesetzt, pünktlich zum Anpfiff im Hotel zu sein! Doch da hat offenbar der Schiedsrichter etwas dagegen, denn er signalisiert vier Minuten Nachspielzeit. Für den von den Fans erhofften Ausgleich reicht aber auch das nicht mehr, stattdessen gelingt in der Nachspielzeit den Löwen noch einmal ein gelungener Angriff, der Ball erreicht Bauer im Strafraum, der dreht sich in altbewährter Manier und zimmert die Kugel humorlos unter die Querlatte. Ich verkneife mir mit Rücksicht auf meine nun fassungslosen Sitznachbarn den allzu ausgelassenen Jubel und schleiche mich Richtung Ausgang, der Staatspräsident ist auch in der zweiten Halbzeit nicht erschienen, so dass keine protokollarischen Angelegenheiten mehr zu erledigen sind. Kurz darauf pfeift der Schiedsrichter ab.  

 

 

Die Mannschaft dreht noch eine schnelle Runde um das Stadionrund und winkt den Zuschauern zu, dann geht es direkt in den Bus, der mit laufendem Motor wartet. Exakt in Minute 32 erreichen wir die Großleinwand auf der Terrasse des Hyatt, wo ein Buffet für uns bereit steht – und ein kaltes Bier. Geduscht wird schnell in der Halbzeitpause, der Rest des Abends ist Jubel, Jubel, Jubel.

 

 

Albrecht Striegel / 04.07.2010

 

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Veröffentlicht: 03.07.2010

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Datum des Ausdrucks: 27.04.2024