
Ebbsfleet United: Elf Spieler - 20 000 Trainer
Online-Community kauft englischen Fußball-Fünftligisten - Mitspracherecht bei Aufstellung und Transfers
Stuttgart - Investoren, Milliardäre
meist, bestimmen zunehmend die Ge-
schicke von Fußballclubs. Ebbsfleet
United geht den anderen Weg: zurück
zur Basis. 20 000 Mitglieder der Inter-
net-Community MyFootballClub kau-
fen den englischen Fünftligisten. Da-
für reden sie bei der Aufstellung mit.
Zementfabriken, mittelständische Betriebe,
Schornsteine, Wellblechdächer und Strom-
leitungen: Northfleet, die Gemeinde mit
13 000 Einwohnern im Süden Londons, hat
so viel Charme wie jedes andere Gewerbege-
biet dieser Welt. Ebbsfleet? Ist nur ein unbe-
deutender Ortsteil, nahe der Themse zwi-
schen Gravesend und Dartford. Allerdings
macht seit vergangener Woche der Euro-
star, der Turbozug Richtung Paris und Brüs-
sel, in Ebbsfleet halt. Plötzlich ist der Fle-
cken in aller Munde, der Bahnhof ebenso
wie der Fußballclub. Letzterer köderte die
Eurostar-Gruppe als Sponsor und benannte
sich um - bisher hieß er Gravesend &
Northfleet FC.
Das ist nicht über die Maßen innovativ.
Anders der Einstieg der In-
ternet-Community MyFootballClub. Für ei-
nen Jahresbeitrag von 35 Pfund (rund 50
Euro) übernehmen deren 20 000 Mitglieder
mit 51 Prozent die Mehrheit an dem Verein
aus der fünftklassigen Conference National,
die unter den vier Profiligen angesiedelt ist
- eine Revolution im Fußball.
Für ihren Beitrag entscheiden sie künftig
basisdemokratisch und per Mausklick über
die Aufstellung, die Transfers, den Clubetat
und alle strategischen Fragen. „Als Fußball-
fan finde ich die Idee fantastisch. Und als
Trainer von Ebbsfleet freue ich mich auf die
Herausforderung, zusammen mit Tausen-
den Mitgliedern eine erfolgreiche Mann-
schaft aufzubauen", sagt Liam Daish. Der
irische Ex-Nationalspieler wird die neuen
Besitzer wöchentlich im Internet über den
Zustand seiner Mannschaft informieren -
als Grundlage für ihre Entscheidungen.
Dass er irgendwann zum Spielball der Fan-
interessen oder gar überflüssig wird, fürch-
tet der Ex-Profi von Birmingham City und
Coventry City nicht: „Die Fans zahlen. Also
sollen sie auch sagen dürfen, wen sie sams-
tags spielen sehen wollen."
700 000 Pfund (rund 993 000 Euro) haben
die 20 000 spendierfreudigen Fans aus rund
70 Ländern bisher in die Clubkasse gespült.
„Wir sind eine Stiftung und werden keine
Rendite ausschütten", sagt der Initiator
Will Brooks. Über die Kosten der Über-
nahme schweigt sich der ehemalige BBC-
Journalist aus: „Solange nicht alle Verträge
unterschrieben sind, sage ich gar nichts."
Jeder Fan hat nur eine Stimme, egal wie
viel er bezahlt hat. Das gesammelte Geld
und mögliche spätere Gewinne werden treu-
händerisch verwaltet und kommen dem
Spielbetrieb des FC Ebbsfleet zugute. Die
Spielergehälter betragen schon jetzt pro
Jahr 400 000 Pfund (rund 557 000 Euro).
Hinter dem professionell organisierten
Projekt steckt die Philosophie, dem zuneh-
mend kommerzialisierten Fußball ein Stück
Tradition zurückzugeben. Die Macht im Ver-
ein verteilt sich auf möglichst viele, nicht
auf einzelne Investoren vom Schlage eines
Roman Abramowitsch (FC Chelsea Lon-
don). „Unsere eingesessenen Fans müssen
sich keine Sorgen machen", beruhigt
Brooks, „alles bleibt beim Alten - Trikotfar-
ben, Wappen, erst mal auch das Stadion von
1946."
Allerdings nennen die Fans die altehrwür-
dige Arena (5248 Plätze) nicht ohne Grund
„cemetary" (Friedhof). Ein Neubau ist ge-
plant, dringender aber ist der Aufstieg in
die viertklassige League Two. „Wir sehen
uns als internationales Fußballprojekt",
sagt Will Brooks. Zweifler verweist er auf
den 500 Meter vom Stadion entfernten Ter-
minal des Eurostar: „In zwei Stunden sind
Sie in Paris. Das ist doch echter internatio-
naler Fußball."
Weitere Informationen unter:
http://www.myfootballclub.co.uk
http://www.ebbsfleetunited.co.uk
Quelle: Stuttg. Nachrichten