Im Schatten der Wasserwerfe: Dynamo Dresden vs. Union Berlin

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Steffen
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Im Schatten der Wasserwerfe: Dynamo Dresden vs. Union Berlin

Beitrag von Steffen » 6. Nov 2006, 18:58

Dynamo Dresden gegen Union Berlin
Im Schatten der Wasserwerfer
VON BERNHARD HONNIGFORT (DRESDEN)

Was waren sie heilfroh, als alles vorbei war gegen 17.30 Uhr am Samstag. Die Fans von Union Berlin waren in die Züge nach Hause verfrachtet worden. Es hatte keine Schlacht gegeben zwischen 17 000 Dresdnern und 2000 Berlinern, keine Hetzjagden mit der Polizei durch die Stadt. Es waren keine Bierflaschen geflogen, nirgendwo brannten Müllcontainer. Er sei glücklich, dass der Tag friedlich zu Ende gegangen sei, sagte Volkmar Köster, der Geschäftsführer von Dynamo Dresden. So, nämlich "normal", müsse es ab jetzt immer sein.

So kann es aber nicht sein, so "normal". 14. Spieltag, Regionalliga Nord, Dynamo Dresden gegen Union Berlin. Dresden sieht aus, als kämen George W. Bush und Robbie Williams am selben Tag zu Besuch. Großeinsatz der Polizei: Stunden vor dem Anpfiff im Rudolf-Harbig-Stadion kreist ein Hubschrauber über der Stadt. Ganze Straßenzüge sind gesperrt, hunderte Polizeiwagen parken am Park neben der Fußballarena. Am Biergarten "Torwirtschaft" stehen Wasserwerfer mit laufenden Motoren. Der Weg vom Hauptbahnhof zum Stadion ist gesperrt, mehr als tausend Polizisten sichern die Anreise der Berliner. Ein Hubschrauber hatte den Zug aus der Hauptstadt nach Sachsen begleitet. "Ganz Deutschland schaut auf dieses Spiel", hatte Dresdens Stadionsprecher vor Spielbeginn verkündet.

Scharfe Kontrollen

Um 14 Uhr soll das Ost-Derby losgehen, der Start zieht sich hin. Die Einlasskontrollen fressen mehr Zeit als gedacht: Union-Fans und Dynamo-Fans dürfen sich auf keinen Fall begegnen, sie kommen an gegenüberliegenden Seiten ins Stadion. Die Sicherheitsleute schauen unter jede Mütze, in jede Tasche. Die Vereine nennen die Partie "brisant", die Fans sprechen von einem "Hass-Spiel". Um 14.15 Uhr beginnt es. Kurz vorher haben etwa hundert Dynamo-Anhänger die Fans der Union begrüßt: "Juden Berlin, Juden Berlin."

Fußballdeutschland ist erwacht. Klinsmanns Sommermärchen, Bundesliga und Champions League, das ist das eine. Ab Liga drei beginnt eine andere Welt.

Juden? "Ein ganz normales Schimpfwort", sei das geworden. In vielen Stadien. Traurig, aber wahr. Sebastian Walleit erzählt. Er ist 25 und arbeitet im Fanprojekt Dresden. Er kommt aus Dortmund, hat beim Bundesligisten Borussia gearbeitet. "Ich habe noch nie einen solchen Hass auf Polizisten erlebt wie in Dresden", sagt er.

Dynamo Dresden-Fans haben einen schlechten Ruf. Sie gelten als rechtsextrem und gewalttätig. Im Herbst 2002 ging es richtig los: Damals spielte Dynamo gegen den Ortsrivalen DSC. Anschließend gab es eine Schlägerei mit der Polizei wie noch nie zuvor. Rund 1500 Jugendliche jagten eine Polizeihundertschaft. Die "Baby-Hools" bewarfen sie mit allem, was sie in die Finger bekamen. Sie griffen eine Reiterstaffel mit abgeschlagenen Bierflaschen an. Es gab Dutzende Verletzte. Danach druckten Lokalzeitungen Bilder von Gewalttätern aus den Polizeivideos der Schlacht ab. Etliche wurden verhaftet und zu harten Strafen verurteilt. Damals wachten Polizei und Dynamo Dresden auf. Der Verein begann sich für seine Anhänger zu interessieren. "Die eigentlichen Fans", sagt Sebastian Walleit, "sind nicht das Problem. Es sind die Mitläufer."

Und die Mitläufer sind rechts. Sie tragen Thor Steinar-Klamotten, eine Lieblingsmarke der Neonazi-Szene. Sie rufen "Juden", sie stehen an diesem Samstag nach Spielende hinter der Fankurve, telefonieren mit ihren Handys, schimpfen, dass man die Berliner nicht greifen könne. An diese Mitläufer, sagt Walleit, komme man nicht ran. Auch nicht als Dynamo-Fanprojekt. An die Ultra-Szene, die echten Fans, denen ihr Verein ein und alles ist, die samstags in den Stadien Fan-Gesänge und Choreographien der Transparente steuern, an die komme man normalerweise ran. Aber in Dresden sei das nicht so einfach: Die Gruppe der Ultras, vielleicht 60 bis 70 Leute, sei nicht homogen. Anders als in Dortmund würden Dresdens Ultras kein öffentliches Bekenntnis gegen Gewalt ablegen. Die Fanszene würde sich nicht selbst regulieren, es fänden sich Überlappungen zum Rechtsextremismus. In Dresden gebe es noch eine Menge zu tun für Fan-Arbeiter.

Nach zehn Minuten führt Dynamo an diesem scheußlichen November-Samstag. Ein feines Kopfballtor. Nach 50 Minuten steht es Zweinull durch einen eleganten Freistoßtreffer. "Dynamo, Dynamo", rufen die gelbschwarzen Dresdner. "Scheiße, Scheiße", kommt es aus dem Union-Block zurück. Dann stimmt einer der Rotweißen ein Lied an: "Lauf, mei Sachse, lauf, sonst hängen wir dich auf."

Aus der Bundesliga

Eigentlich gehört Dynamo Dresden in die Bundesliga, mindestens in die zweite. Zu DDR-Zeiten war der Verein groß, hatte acht Mal die Meisterschaft gewonnen und Berühmtheiten wie Matthias Sammer, Ulf Kirsten oder Jens Jeremies in seinen Reihen. Dresden ist eine anziehende und aufstrebende Großstadt. Es gibt finanzstarke Unternehmen, die Möglichkeiten für attraktiven Fußball wären vorhanden. Aber Dresden krebst in der Regionalliga herum, und dennoch kommen fast so viele Zuschauer wie bei Bayer Leverkusen in der Bundesliga. Dynamo sitzt auf einem Stadion, das eigentlich eine Bruchbude ist und leidet noch an den Jahren nach der Wiedervereinigung, als Figuren wie der südhessische Bauunternehmer Rolf-Jürgen Otto den Club regierten und aus der Bundesliga direkt in den Abgrund steuerten. Der Traditionsverein war eine Skandalnummer und pleite, es gab keine Lizenz mehr für Liga eins und zwei. Im Jahr 2000 war "der Stolz des Ostens" viertklassig.

Seitdem mühen sie sich im Verein. Um solide Finanzen, um einen ordentlich geführten Club, um ein neues Stadion, um gründliche Jugendarbeit. Eine Menge Baustellen. Die Fanszene hat man dabei offensichtlich etwas aus den Augen verloren.

Das soll jetzt alles anders werden. Seit den Ausschreitungen bei Hertha II in Berlin Ende Oktober, als Dynamo Fans rumprügelten und 23 Polizisten verletzt wurden. Seit Dynamo-Fans und "braune Horden" wieder einmal Synonyme sind. Jetzt reden alle darüber, wie wichtig Fan-Projekte sind. Auch in der Politik. Die Grünen-Opposition im Dresdner Landtag will, dass sich der Freistaat an der Finanzierung von Fan-Arbeit beteiligt. "Man muss mal überlegen, was es jedes Mal kostet, Unmengen von Polizisten bereitzustellen", sagt die Grünen-Abgeordnete Elke Herrmann. Nicht nur in Dresden. Leipzig, Zwickau, Aue, überall gebe es Probleme. Fan-Arbeit sei ein hartes Brett, sagt Sebastian Walleit. So etwas dauere, man müsse Geduld haben.


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Dokument erstellt am 05.11.2006 um 17:40:04 Uhr
Letzte Änderung am 05.11.2006 um 17:55:23 Uhr
Erscheinungsdatum 06.11.2006

J3ns
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Beitrag von J3ns » 11. Nov 2006, 12:54

http://www.youtube.com/watch?v=jipa6UZ5TaM

Ist ein Bericht von SpiegelTV zu dem Spiel und den Sicherheitsvorkehrung drum herum und auch mit Fragen an die Anhänger warum die beiden Mannschaften so verfeindet sind.
Ganz interessant anzuschauen.
Allerdings auch schockierend was da für ein Hass und Gewaltbereitschaft hinter den Fangruppen steckt.
Andererseits auch zusehen was da für ein Fanpotenzial drin steckt in Dresden 19 000 bei nem Regionalliga - Spiel

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