
DIE MACHT DER GEFÜHLE
Folgende Situation lässt sich in der Rosenau immer wieder feststellen: Der FCA ist gerade damit beschäftigt, den jeweiligen Gegner nach allen Regeln der Fußballkunst zu beherrschen, die notorischen Querulanten und Nörgler legen eine Pause ein und ziehen beruhigt am Asthma-Inhalationsgerät und der ganze M-Block schnurrt und räkelt sich wie eine satte Katze im Sonnenschein.
Und gerade dann, wenn man meint, dass der Grad der Zufriedenheit im Stadion nur noch durch mehrere Biere nach Spielschluß gesteigert werden könnte, hebt der Gästeblock (falls existent) sein hässliches Haupt!
Da die Taten der eigenen Truppe es im Moment nicht wert sind, mit leicht infantilen und vom Versmaß her gesehen äußerst bedenklichen Sätzen zu den Melodien völlig zurecht vergessener deutscher Schlager besungen zu werden, verlegt man sich eben darauf, das versammelte Augsburger Publikum mit Weisheiten a la „Und schon wieder keine Stimmung FCA“ oder „Für ein Heimspiel seid ihr ganz schön laut“ zu malträtieren. (Diese Lümmel vergessen in der Regel, dass ihnen für kein Geld der Welt einfallen würde, dass Original „Von den blauen Bergen kommen wir“ zu singen!) Das Rätsel dabei ist: Was wollen diese Menschen den FCA-Fans mit solcherart dargebrachten Weisen mitteilen? Dass in Augsburg schlechte Sänger ins Stadion gehen? Dass das Rosenaustadion von Phlegmatikern besetzt ist? Oder etwa, dass wir unsere Mannschaft nicht genauso inbrünstig lieben wie sie oder dieses nicht angemessen durch dauernde Liebesbeweise, sprich Gebrüll, kundtun? Zumindest die letzte Überlegung ist Blödsinn, denn die Komplexität, Vielschichtigkeit und Tiefe, die die Beziehung des Augsburger Publikums zu seinem Fußballverein kennzeichnet, geht über das Verständnis des gemeinen Offenbachers, Münchners oder Feuchters weit hinaus. Diese pflegen zu ihren Fußballmannschaften in der Regel ein Verhältnis, dass in etwa adäquat der Handlung einer seichten US-Teenie-Komödie entspricht: Junge trifft Mädchen, man verliebt sich, Junge streut Rosenblätter und zündet Kerzen an und das ganze steuert auf etwas banales wie die Wahl zur High-School-Queen hin. In unseremFalle wären die Rosenblätter das inbrünstige Absingen des geklauten „You’ll Never Walk Alone“ (Am besten stilecht mit hessischem oder Münchner Akzent) und der Abschlussball ein Sieg gegen Frankfurt oder Sechzig!
Um bei dieser Metapher zu bleiben, der FCA ist nun mal nicht der Typ Lindsay Lohan oder Ashley Olsen, sondern erinnert vielmehr an Emmanuelle Beart. Das heißt: Kein kaugummikauende College-Girl, das sich dem Fußballfan mit Naivität an den Hals wirft, sondern eine geheimnisvolle, fast feline Schönheit, die sich ihm wieder entzieht und seine Obsessionen noch mehr schürt. Als Augsburger Fußballfan erlebt man das Verhältnis zu (oder mit) seinen Verein viel eher als ein erotisch aufgeladenes Spiel von Geben und Nehmen und manchmal eben auch als eine verzweifelte „Amour Fou“. Dass das nicht immer einfach ist, hat die letzte Saison in vielerlei Hinsicht gezeigt, erklärt aber auch, warum die Liebe und Lust des FCA-Fans sich nicht unbedingt nur in andauerndem Geschrei von den Rängen bemerkbar machen muss. Dafür ist das Gefühl nach einem Sieg wesentlich intensiver!
Den oben genannten Brüllern entzieht sich eben diese Attraktivität und sie halten sich lieber an ihre eindimensionalen Gunstbeweisungen und schreien eben permanent herum. Im wirklichen Leben knutschen ja auch die hässlichen Menschen viel ausdauernder in der Öffentlichkeit herum, um jedem zu beweisen, dass auch sie nicht leer ausgegangen sind. (th)
Quelle: stadionkurier – Das offizielle Stadionmagazin des FC Augsburg, Ausgabe 03 vom 04.09.04