TATORT VORGARTEN: Bereitschaftspolizei nimmt Dutzende Mannheimer in der Jahnstraße fest, wo sie für zweieinhalb Stunden auf dem Trottoir oder den Einfriedungen hocken müssen. (Foto: Roman Größer)

Es war ein Samstag der Gewalt – der latenten Gewalt, zum Glück nur in kleinem Maß tätlicher Auseinandersetzung. Erneut haben die Begleitumstände eines Fußballspiels das zivile Leben beeinträchtigt, Menschen in bedrohliche Situationen gebracht. So erlebten es die Bewohner des Paulusviertels am Nachmittag.
Gegen 16 Uhr, nach Ende des Spiels am Böllenfalltor zwischen dem SV Darmstadt 98 und Waldhof Mannheim, rannten Mannheimer Horden auf beiden Seiten die Jahnstraße hinab; Stiefel von gut hundert Mann prasselten übers Pflaster, während an den Straßenecken postierte Mannheimer Anführer Kommandos riefen: „Aufschließen, ihr Kerle, los, los, mir müsse weg von der Polizei, do ohwe kumme schon die Bulle.“
Wenig später, aus dem Kern Bessungens verdrängt, trampelten die Mannheimer – viele von ihnen älter als dreißig, schwergewichtig, tätowiert, kahlköpfig – wieder bergauf. Reiter sprengten ihnen entgegen und trieben die mutmaßlichen Schläger aufs Trottoir; von der Nieder-Ramstädter Straße her setzte im Laufschritt Bereitschaftspolizei nach, gefolgt von Mannschafts- und Rotkreuzwagen.
Jetzt wurde das Paulusviertel abgeriegelt, und am Geißensee kam es zu einem kurzen, heftigen Gerangel; die Mannheimer brüllten, die Polizisten schwangen den Schlagstock, drückten Flüchtende in Garageneinfahrten, die Gärten der anliegenden Häuser wurden durchkämmt, Schreie waren zu hören; mehr oder minder freiwillig gingen die Mannheimer zu Boden.
Gegen halb fünf herrschte gespenstische Ruhe. Dutzende Festgenommene hockten in langer Reihe, zum Teil mit Handschellen gefesselt, an den Gartentörchen und -zäunen der oberen Jahnstraße, immer wieder angemahnt, sich nicht zu rühren („halt die Fresse!“). Ansonsten war kein Mensch mehr zu sehen.
In den Häusern nahmen die Anwohner das Geschehen teils fassungslos, teils neugierig wahr. Die Kinder von Nummer 120 versteckten sich auf dem Dachboden, von wo sie mit Feldstechern beobachteten, was sich unten auf der Straße tat. Die Mutter in Nummer 124 wartete voller Angst auf ihren Sohn Maurice; der Siebenjährige sollte um diese Zeit von einem Freund nach Hause kommen. Eine Polizistin brachte den etwas schockierten Jungen dann heim.
Unterdessen wurden die Festgenommen durchsucht. Polizisten gaben einander Insider-Ratschläge: „Das da ist keine tödliche Waffe, wir sind hier nicht in Ober-Ramstadt.“ Als einer der Gefangenen über Durst klagte und ihm eine Anwohnerin ein Glas Wasser brachte, wurde sie von einem Beamten freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen: „Nein. Dies ist ein Polizeieinsatz.“ Der Mann maulte: Es sei doch menschlich, dass er Durst habe. Der Polizist: „Wie ein Mensch haben Sie sich vorhin aber nicht verhalten.“
Nach zwei Stunden durften die Festgenommenen mal aufstehen; einigen wurde Telefonieren erlaubt. Als um 18 Uhr die Glocken der Pauluskirche läuteten, wirkte das geradezu surreal: die Stimme des Friedens über einer Szene der Gewalt.
Ab halb sieben wurden die Mannheimer gruppenweise Richtung Bahnhof begleitet. Gegen fünf von ihnen, so teilte am Sonntag Michael Dalfuß, der Polizeiführer vom Dienst, mit, erging Strafanzeige, unter anderem wegen Waffenbesitzes, zwei weitere erwartet bereits ein Strafverfahren, einer wurde mit Haftbefehl gesucht. Die Polizei blieb bis halb acht in der Jahnstraße; „wir führen die Nachaufsicht durch“, so Dalfuß.
Als schließlich auch der letzte Mannschaftswagen abgezogen war, setzte in den Gärten wieder das Rasenmäherbrummen ein. Die Terrassentüren öffneten sich, Blumen wurden gegossen. Und auf dem Rasen hinter den Häusern spielten die Kinder nach, was sie vorher erlebt hatten: Fahrradhelme imitierten den Kopfschutz der Polizisten, Stöckchen wurden geschwungen: „Auf den Boden, und rühr’ dich nicht!“
Quelle: Darmstädter Echo
Ein zweiter Bericht:
„LILIENKILLER“: Die Botschaft der Mannheimer Fußballfans am Samstag war unmissverständlich.

Rund tausend Mannheimer waren am Samstag zum Regionalligaspiel nach Darmstadt gereist; viele davon „mit Verabredungen“, wie die Polizei wusste. Verabredungen zu Schlägereien.
„Da gibt es alte Feindschaften, die“, so sagte am Sonntag Michael Dalfuß, der Polizeiführer vom Dienst, „zum Teil Jahrzehnte zurückreichen.“ Zum ersten Mal seit 1998 sind Waldhof und Darmstadt wieder in einer Liga vereint. So lag von Anfang an eine drückende Atmosphäre über dem Tag.
Schon bei der Anfahrt hatten Mannheimer Fußballfans den Bus, in dem sie unterwegs waren, auseinandergenommen. Diese Fans sahen, so die Polizei , „das Spiel nicht mehr“, sie wurden gleich „in Gewahrsam genommen“.
Rund siebenhundert mit dem Zug angereiste Mannheimer empfing die Polizei am Südbahnhof und begleitete sie geschlossen über die Landskronstraße zum Stadion. Eine Reihe der rauflustigen Fans gelangte jedoch in die Innenstadt.
Die Polizei hatte Hinweise, dass es im Herrngarten zur Schlägerei kommen sollte; entsprechend turbulent ging es am Vormittag auch im Martinsviertel zu. Die Georg-Büchner-Buchhandlung an der Lauteschlägerstraße etwa hatte kurzfristig Besucher, die sich des Ladens als Rückzugsraum bemächtigen wollten.
Im Stadtzentrum geriet zeitweise der öffentliche Nahverkehr in Unordnung. Während des Spiels zwischen dem SV Darmstadt 98 und Waldhof Mannheim war es „ruhig“, wie die Polizei sagt; lediglich ein Fan feuerte eine Rakete ab und wurde festgenommen.
Anschließend zielte die Polizeitaktik erneut darauf, Darmstädter und Mannheimer Schläger gar nicht erst aufeinandertreffen zu lassen. Erfolgreich, so Dalfuß. Ein verletzter Polizist, ein verletzter Fußballfan – es hätte schlimmer kommen können.
Dennoch gab es bis in den Abend hinein immer wieder Rangeleien – so noch gegen 20 Uhr am Luisenplatz. Die Polizei – Darmstädter Schutzpolizei und hessische Bereitschaftspolizei – hatte zusammen vierhundert Beamte im Einsatz.
Quelle: Darmstädter Echo
Und zum Spiel, ebenfalls aus dem Darmstädter Echo:
Ein Unentschieden als gefühlter Sieg
GUT GEMACHT: Trainer Zivojin Juskic (links) beglückwünscht den Darmstädter Torschützen Christopher Nguyen. In der Fußball-Regionaliga Süd erreichte der SV Darmstadt 98 im Derby gegen den SV Waldhof Mannheim vor 4600 Zuschauern ein 1:1.
Gewonnen haben sie zwar nicht. Aber irgendwie war das 1:1 (1:0) des abstiegsbedrohten SV Darmstadt 98 in der Fußball-Regionalliga Süd am Samstag gegen den nach wie vor an den Aufstieg glaubenden SV Waldhof Mannheim wie ein gefühlter Sieg.
Die Südhessen hatten nach mageren Wochen dem insgesamt überlegenen und auch spielstärkeren Favoriten in einem spannenden Derby die Stirn geboten, vor allem aber hatten sie es mit einer entschlossenen, mutigen Vorstellung geschafft, verloren gegangene Sympathien beim Publikum zurückzuholen. Diese Mannschaft lebt.
Wer den SV 98 in den jüngsten beiden Auswärtsspielen in Pfullendorf und Fürth gesehen hatte, der rieb sich am Samstag verwundert die Augen. Nach dem kurzfristigen Trainerwechsel von Gerhard Kleppinger zu Zivojin Juskic war innerhalb weniger Tage aus einer blutleer auftretenden Mannschaft eine leidenschaftlich kämpfende, sich wehrende Einheit geworden.
Juskic hatte es in vielen Einzelgesprächen geschafft, dem Team seine Philosophie zu vermitteln. Auch wenn noch nicht alles klappte oder klappen konnte – da standen Spieler auf dem Platz, denen man den Willen ansah, etwas erreichen zu wollen. Das spürten auch die Zuschauer und gaben kräftig Rückhalt.
Zwar kombinierten die Mannheimer teilweise gefällig bis zum Strafraum, doch da war dann für sie lange Zeit meist Schluss. Irgendeinen Fuß, irgendein Bein oder einen anderen Körperteil brachten die Gastgeber immer wieder an den Ball. „Wir haben probiert, Torraumszenen zu kreieren, aber das ist uns nicht gelungen“, gestand Waldhof-Trainer Alexander Conrad ein.
Die Darmstädter boten sogar den einen oder anderen ansehnlichen Spielzug. Wie bei der frühen Führung. Sven Sökler erkämpfte sich an der linken Seitenlinie den Ball, weiter ging's zu Pascal Pellowski, dessen Hereingabe verlängerte Elia Soriano per Kopf auf den freistehenden Christopher Nguyen – der ließ sich die Chance zum 1:0 in der elften MInute nicht entgehen.
Überhaupt Nguyen: Der zum Karlsruher SC II wechselnde Mittelfeldspieler gab den Mannheimern mit seiner Schnelligkeit etliche Rätsel auf – und erhielt prompt ein Sonderlob von Juskic. „Er hat heute so gespielt, wie wir ihn kennen“, stellte der Trainer fest.
Nach der Pause indes gerieten die Darmstädter zunehmend unter Druck. Möglich, dass der große läuferische Aufwand und die hohen Temperaturen an den Kräften gezehrt hatten. Der Ausgleich fiel eine Viertelstunde vor Schluss durch den eingewechselten Giuseppe Burgio.
Der Mannheimer durfte aus der Distanz ungestört abziehen, Darmstadts starker Schlussmann Rainer Adolf war zwar noch dran am Ball, der dann aber vom Innenpfosten ins Tor flog. In der Folge half dem SV 98 auch ein wenig das Glück. Speziell beim Kopfball von Ali Özgün, den Adolf bravourös an die Latte lenkte, die Verteidiger bugsierten die Kugel anschließend von der Torlinie (88.).
Doch es war keineswegs so, dass sich der SV 98 im zweiten Abschnitt gar keine Chancen erarbeitet hätte. So scheiterte Nguyen an Waldhof-Torhüter Daniel Tsflidis (56.). Elia Soriano hätte unmittelbar nach dem Ausgleich mit einem Kopfball für die erneute Führung sorgen können. „Den hat der Tormann gut rausgefischt. Aber ich denke, den kann man auch machen“, gab sich der junge Stürmer selbstkritisch.
Deshalb sprach Verteidiger Michael Bodnar, Ex-Waldhöfer im Lilientrikot, von einem gerechten Ergebnis. „Der Klassenerhalt ist auf jeden Fall machbar“, fügte Bodnar hinzu. Freilich wird es nach hinten immer enger.
Vier Punkte noch beträgt der Vorsprung auf den Abstiegsplatz 16, auf den nun der KSC II nach der 2:5-Heimniederlage gegen Tabellenführer Hessen Kassel zurückgefallen ist. Aber die Leistung vom Samstag hat den Darmstädter Spielern den Glauben an sich selbst zurückgegeben.
Genauso, wie der vor seinem Amtsantritt durchaus kritisch beäugte Trainer an sich glaubt. „Ich werde meine Skeptiker mit der Zeit davon überzeugen, dass ich das Zeug habe, ein solider Trainer zu werden“, sagte Zivojin Juskic nach seinem Punktspiel-Einstand selbstbewusst.
Übrigens: Nach dem Abpfiff hallten „Juskic“-Sprechchöre durchs Stadion am Böllenfalltor.
Und hier ein Link der Bild Zeitung zum Spiel:
http://www.bild.de/BILD/regional/frankf ... aeger.html