DDR, Deine Hooligans

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Jens
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DDR, Deine Hooligans

Beitrag von Jens » 4. Nov 2007, 22:26

Hallo zusammen,

MW und ich waren ja diese Saison beim RLN-Derby zwischen Union Berlin und Babelsberg - u.a. um ein paar Unioner zu treffen, die wir beim St.Pauli-Auswärtsspiel in der letzten Saison dort kennengelernt hatten.

Einer brachte einen sehr interessanten Artikel aus der "zitty" - einem Berliner Magazin - mit, in dem es um Fans und Hooligans in der DDR und besonders um die damaligen Derbys zwischen Union und dem BFC Dynamo geht. Er hat mir den Artikel inzwischen zugeschickt, und ich hab' ihn einfach mal abgetippt. Dürfte übrigens auch für weniger Fußballinteressierte lesenswert sein, da man diverse Einblicke bekommt, was in der DDR damals so abging und wie mit was umgegangen wurde.

Aber lest selbst...
DDR, Deine Hooligans

Kämpfe in den Stadien, Gewalt und Aufruhr - das war auch in der DDR Thema, obwohl die staatlichen Behörden alles daran setzten, den Hooliganismus in den Stadien totzuschweigen. Unser Autor hat sich dem Thema in einem Buch gewidmet.

Text: Frank Willmann

Fußball ist eine Droge. Er spendet Zerstreuung vom Alltäglichen. Und er ist Gruppentherapie. Der Fußballplatz ist ein Ort, wo man sehr konkrete und sehr abstrakte Ängste abbauen kann. Auf und neben dem Sportplatz ist Fußball zugleich Ausdruck von Gewalt und Repression. Das war auch in der kleinen DDR so.
„Stasi raus!“ und „Mielke in die Produktion!“ waren Rufe, die es in der DDR nicht erst während der politischen Wende von 1989 gab. Sie erklangen an jedem Wochenende aus Tausenden Kehlen in den Fußballstadien der Republik. Initiator dieser Rufe war eine für die DDR-Funktionäre furchterregende Randgruppe innerhalb der Fußballanhängerschaft. Die von der Staatssicherheit als „feindlich negativer Anhang“ bezeichneten Fans, eine „geistes- und wesensfremde Jugend“. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre wurden Krawalle bei Fußballspielen in der DDR zum Problem. In Berlin ging es vor allem um die beiden Vereine BFC Dynamo und 1. FC Union Berlin - ersterer, heute ist er in der Oberliga aktiv, galt als Stasiclub, während der heutige Regionalligist Union waschechter Arbeiterclub ist. Mit wachsender Besorgnis registrierten die DDR-Behörden ab Ende der 70er Jahre Massenschlägereien, Plünderungen von Geschäften und Zusammenrottungen Jugendlicher in den grenznahen Stadtteilen Berlins. Es ging um den Traum einer unbestimmten Freiheit, um Fußball, um rebellische Jugend, um Kloppereien.
Den organisierten Hooliganismus westlicher Prägung gab es nicht, er schwappte erst zum Ende der DDR über die Mauer. Flugblätter, Fußballbilder, Schals und Aufnäher fanden hingegen immer ihren Weg durch den Eisernen Vorhang. Beim BFC Dynamo prägten sich in größerem Maße Gruppen einer neonazistischen Anhängerschaft aus, während bei Union vorwiegend der Stand des heroischen Dauerverlierers als Gegenbild zum Erfolge feiernden Staat gehuldigt wurde. Mit allen Mitteln, auf beiden Seiten.
Zwei, die den damals aufkommenden Hooliganismus in der DDR miterlebt haben und auch heute noch jedes Spiel ihres Clubs besuchen, erzählen auf den folgenden Seiten über Fußball und Gewalt in Ostberlin.


PID*, Anhänger des 1. FC Union Berlin:

Ich komme aus einer Arbeiterfamilie vom Prenzlauer Berg. Ich bin Mitte der 70er Jahre durch Schulfreunde zu Union gekommen. Berlin war eindeutig in Unionhand, der BFC spielte eine untergeordnete Rolle. Das war der Verein der Stasi, der war unter Berlinern verpönt.
Bei den Derbys zwischen Union und dem BFC gab es einen festen Ablauf. Zuerst mussten die Unionfans das Stadion verlassen. Die Unioner, die als letzte liefen, waren immer die Opfer der hinterherkommenden BFCer. In der Stadt gab es ständig Auseinandersetzungen. Wenn der BFC Mittwoch spielte oder wir mal in der Woche ein Spiel hatten, haben sich die verfeindeten Gruppen an S- und U-Bahnhöfen getroffen. Wir sind gern zur Greifswalder Straße gefahren und haben dann die BFCer überfallen, die aus der Bahn kamen. Dann gab’s auf die Mütze. Schal ab, Anstecknadel ab, ein paar Schellen, wer lag, der lag. Manchmal denke ich, das war so eine Art von Subkultur, die staatlicherseits geduldet wurde. Damit die Leute sich austoben konnten und nicht auf dumme Ideen kamen.
In der Kneipe wurde schon mal gesponnen, beim Derby über die Mauer zu gehen. Aber der Respekt vor den ganzen Maßnahmen im Mauerbereich war sehr ausgeprägt. Die umliegenden Straßen waren bei den Derbys weiträumig gesäumt von Bereitschaftspolizei. Den Einlass der Stadien sicherten Sportler des SV Dynamo in weinroten Trainingsanzügen. Die Polizei war im ganzen Stadion. Selbst in den Fanblöcken. Im Stadion selbst ist da nie etwas passiert.
Die Mobs der Vereine waren sehr verschieden. Da die BFCer immer weniger waren, hatte sich bei denen so ein elitärer Zusammenhalt gebildet. Einer ihrer Sprüche: „Wir sind wenig, aber geil.“ Bei wichtigen Spielen sind auch mal 500-800 BFCer gefahren. Das war gering im Vergleich zu dem, was mit Union unterwegs war. Beim Spiel gegen den Abstieg in Chemnitz waren wir zum Beispiel 3.500. Wenn wir Unioner in der ostdeutschen Provinz ankamen, war das wie ein Überfall. Wir Berliner waren anders als der Rest der DDR. Wir waren offener, hektischer, aggressiver, großmäuliger. Ostberlin war zwar auch ein Dorf, aber eben das Hauptdorf. Als Berliner waren wir überall die Arschlöcher, egal ob Union oder BFC.
Das hat dazu geführt, dass wir gezielt mit den Privilegien, die wir in Berlin genossen, provoziert haben. Wir haben zum Beispiel nach „Korl-Morx-Stodt“ (Chemnitz) alte Kubaorangen und Matschbananen mitgenommen, die man als Berliner nicht gegessen hat. Die wurden als Wurfgeschosse benutzt. Diese Provokation hat in jedem Fall funktioniert, da hat sich richtiger Volkszorn dran entzündet. Der vorwiegende Grund, zu Auswärtsspielen zu fahren war aber nie, Streit zu suchen. Es ging immer um den Verein, um die Unterstützung und um das Gemeinschaftserlebnis der Fahrt. Die Szene hat zusammengehalten und hat auch die gedeckelt, die in der normalen Gesellschaft Probleme hatten. Man hat geteilt.
Gewalttätigkeit und Fußball waren miteinander verknüpft. Auch Blockstürmungen im Stadion gab es immer wieder. Wir hatten bei Union damals so eine Art Wettbewerb, wie lange wir brauchen würden, um ein Stadion zu räumen. Der Mob hat dann zum Spielende häufig versucht, durch die ganzen Blöcke zu fegen und die gegnerischen Fans und Zuschauer aus dem Stadion zu jagen. Rekord waren, glaube ich, 23 Sekunden, da war bei Chemie Leipzig das ganze Stadion leer. Richtig extreme Schlachten gab es eigentlich nicht. Auseinandersetzungen waren sehr kurz. Selten kam dabei ernsthaft einer zu Schaden.
Ich halte es für eine Mär, dass nur Unioner Opposition waren. Ich glaube, es war eine Grundeinstellung der DDR-Fußballjugend in den 70ern und 80ern, dass sie kritisch zum System stand. Berlin hatte andere Freiräume. Hier mussten auch die Bullen vorsichtiger zu Werke gehen. Berlin war Hauptstadt, hier hat der Westen alles registriert. Wenn wir an der Hannoverschen Straße vorbei Richtung Friedrichstraße liefen und: „Deutschland!“ oder „Die Mauer muss weg!“ brüllten, stand das am nächsten Tag in den westdeutschen Zeitungen. Das war Provokation, aber auch Ausdruck der Grunddenke vieler Jugendlicher. Ende der Achtziger, kurz vorm Ende der DDR, sind Teile der BFCer und Unioner gemeinsam zu DDR-Pokalfinalspielen, die immer in Berlin stattfanden, um Sachsen zu jagen. Es hatte sich eine gewalttätigere Szene aus der Gemeinsamkeit der Fans gelöst, und es wurde zunehmend radikaler. Der BFC-Anhang entwickelte sich immer mehr zum Sammelbecken der neuen Subkulturen wie etwa der Skinheadbewegung. Davon gab es bei Union auch kleinere Gruppen. Ich kam von der Armee zurück, auf einmal waren da so komische Typen mit glänzenden grünen Jacken und machen ohne Haare auf dem Kopf den Breiten.
Eine verfestigte rechte Einstellung unter Unionern habe ich nicht festgestellt. Abgesehen von einzelnen Kandidaten. Dafür gab es überhaupt keine ideologische Basis. Aber mit rechtem Pathos aus Protest kokettieren, das war verbreitet.
Wenn der Staat es wirklich gewollt hätte, wäre die Hooliganszene aufgemischt worden. Man muss sich fragen, wie ein Staat, der sein Volk in allen Beziehungen niedergehalten hat, ausgerechnet beim Fußball Dinge toleriert hat, die er in allen anderen Bereichen des Lebens sicherlich nicht hätte durchgehen lassen.

* Name geändert


Rainer Lüdtke, Anhänger des BFC:

Ich habe mich nie als Staatsfeind empfunden. Aber wir haben uns nicht auf Linie gehalten, es gab viele Schlägereien mit anderen Fans - der Respekt vorm Staat war trotzdem immer da. Es gab sicher ein paar Hardliner, die schon immer aus der DDR ausreisen wollten, das war aber eine Minderheit.
Zu DDR-Zeiten gehörte Gewalt zum Fußball dazu. Es gab selten ein BFC-Spiel, wo es nicht geknallt hat. Allerdings fand man das nicht in den Zeitungen wieder. Gewalt beim Fußball in der DDR wurde totgeschwiegen.
Mein erstes großes Aufeinandertreffen mit Unionern hatte ich in der S-Bahn. Das war vor 1976. Wir kamen von einem Auswärtsspiel, waren fünfzehnjährige Jungs. Plötzlich stürmten drei Unioner in den Waggon, richtige Klopper. Die haben sich jeden einzelnen vorgenommen. Ich wollte meinen Schal nicht abgeben, da wurden meine Arme rabiat auf die S-Bahn-Lehne geknallt, bis mir beide Arme brachen. Seitdem war der Hass auf Unioner da, ich habe oft und gern die Konfrontation mit Unionfans gesucht.
Die Polizei war schon sehr präsent im Stadion. In Berlin waren die Bullen gut drauf, in Sachsen eher aggressiv, die mochten keine Berliner. Da kam das Lied „Knüppel, Knüppel, bumm bumm“ her. Die Stasi hingegen hat sehr sehr umsichtig agiert. Man hat nie mitgekriegt, wenn die jemanden rausgefischt haben. Anfang der 80er muss es einen Befehl gegeben haben, da sind alle wichtigen Leute eingesperrt worden. Einige Leute bekamen Berlinverbot.
Aus meiner Umgebung, der 78er/79er-Zeit gibt’s kaum einen, der nicht in den Knast gegangen ist. Ich hatte den Alex unter meiner Hand, eine größere Meute aus dem Heineviertel, die Prenzlauer Berger, wir haben uns immer unter dem Fernsehturm im SB-Café getroffen. Wir haben den Alex saubergehalten, alles, was nicht BFC war, hat quasi Alexverbot gehabt. Irgendwann gab es auch mal den Raub von einer größeren Gruppe, daran war ich beteiligt. Raub bedeutet: Schal ruppen. Das war eine räuberische Körperverletzung. Ich bin am nächsten Tag in die Keibelstraße vorgeladen worden, es fand eine Gegenüberstellung statt. Ich wurde erkannt und bin gleich im Knast geblieben. Einzelzelle, ich hab geheult ohne Ende. Ich war gerade achtzehn Jahre alt. Die Kripo hatte eine Liste, da standen alle möglichen Straftaten drauf, an denen ich beteiligt gewesen sein soll. Das kam zur Anklage. Obwohl ich vorher nie Kontakt mit Kripo oder Stasi hatte. Ich war bis dahin weder vernommen noch auch nur einmal beim Fußball festgenommen worden. Trotzdem war meine Anklageschrift achtzehn Seiten lang. Zur Verhandlung war der ganze Saal voller BFCer. Ich dachte, die befreien mich jetzt. Ich habe als Rädelsführer zwei Jahre und drei Monate ohne Bewährung bekommen.
Ich kam nach der Verhandlung in den Vollzug, die ersten Tage waren unglaublich hart für mich. Ich wurde nach Torgau verlegt, einem der schlimmsten DDR-Knäste. In Torgau war ich insgesamt eineinhalb Jahre. Zehn Monate wurden mir auf Bewährung erlassen. Aber Auflagen ohne Ende; drei Jahre Bewährung. Ich durfte den Arbeitsplatz nicht wechseln. Ich musste mich jeden Dienstag bei der Polizei melden. Ich durfte Berlin nicht verlassen. Ich durfte keinen unangemeldet bei mir übernachten lassen. Die Bullen sind sogar nachts gekommen, um mich zu kontrollieren. Ich hatte BFC-Verbot, SB-Café-Verbot, Alextreffverbot. Ich durfte in keine Kneipe, wo BFCer waren. Natürlich war es unmöglich, diese Auflagen einzuhalten - ich war schließlich BFC-Fan. Obwohl meine Kumpels aufpassten, wurde ich beim BFC-Spiel gegen Halle von der Stasi gesichtet und geschnappt. Die sind wie ein Keil in die Fans rein, und weg war ich. Das war der erste Bruch der Bewährungsauflagen. Dann hab ich mich mal nicht gemeldet, zweiter Bruch. Dann war ich in Cottbus mit dem BFC, wurde erwischt, dritter Bruch. Bei der nächsten Gerichtsverhandlung hab ich acht Monate gekriegt, plus die offenen zehn Monate. Dazu kamen fünf Jahre Berlinverbot, Paragraph 48. Ich war total aus dem Verkehr gezogen. Die zweite Knastzeit habe ich voll abgesessen. Von der Schmiere, also der Polizei, hab ich 1983 meinen Wohnort zugewiesen bekommen, Miltitz bei Leipzig. Arbeit gab es auch. Ich musste anfangs Kartons für eine Möbelbude kneten. In Miltitz musste ich mich auch jeden Dienstag melden, durfte Berlin nicht betreten, hatte aber diesmal keine Samstagmeldeauflage. Also war ich immer schwarz in Berlin, bei Auswärtsspielen sowieso. Ich hatte diesmal kein BFC-Verbot. Als ich zurück nach Berlin kam, waren viele Leute im Knast, der harte Kern war weg. 83/84 reisten plötzlich die ersten Leute aus. Ab 1983 tauchten auch die ersten Glatzen in Ostberlin auf, die Moden aus Westberlin schwappten immer schnell rüber. Ich war nie rechts, ich habe jeden gehasst, der den Arm gehoben hat. Ich sehe mich eher als links, also als sozial eingestellt. Das war katastrophal, was sich in der Wendezeit plötzlich für Leute beim BFC herumgetrieben haben. Vielleicht hätten wir normalen Fans, die sich zwar mal gekloppt haben, aber nichts mit Nazischeiß am Hut hatten, damals eingreifen müssen. Wenn man damals mehr Herz gezeigt hätte, wäre der BFC heute anders.


Frank Willmann ist Journalist, Schriftsteller und Hobby-Fußballer, Jahrgang 1963. Neben literarischen Titeln veröffentlichte er mit Jörn Luther Bücher über die Berliner Fußballvereine 1. FC Union und BFC Dynamo und war Herausgeber von Büchern zur Fußball-EM und -WM. Willmann lebt in Berlin.

„Stadionpartisanen, Fans und Hooligans in der DDR“
Mitautoren: Anne Hahn, Gabriele Damtew, Wolfgang Engler, Andreas Gläser.
Mit Fotos von Harald Hauswald und Knut Hildebrandt
192 Seiten, 16,90 Euro, Verlag Neues Leben
Quelle: Printausgabe der "zitty" 18-2007 (30. August - 12. September)
Joh 14,6

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