Diesen Artikel hier in der Print-Version übergab mir letzten Samstag im Rahmen des Kiezderbys Union - St. Pauli ein guter Bekannter, seines Zeichens eingefleischter Unioner.
Eigentlich ist er hier unter Verschiedenes ein wenig unterrepräsentiert, aber ich fürchte, er passt sonst nirgendwo so richtig hin. Jedenfalls wird der Artikel vielen aus der Seele sprechen...
Verliebt in das Spiel
Das Berliner 11-mm-Fußballfilmfestival huldigt der geschundenen Seele des Rasensports
»60 000 Menschen im Stadion und Stimmung wie in 'ner Kirche!« – Otto Pfister schüttelt den Kopf, zieht an der Zigarette, Blick aufs Spielfeld. Er ist aus dem VIP-Bereich des Berliner Olympiastadions geflüchtet, um an der frischen Luft zu beobachten, wie sich der 1. FC Nürnberg zum Ausgleich gegen Hertha BSC stümpert. Pfister hat in seinem Leben viel erlebt, viel gesehen und wirkt doch fassungslos im Moment. Kulturschock im holzvertäfelten Logenbereich der Ehrentribüne: »Ich war Trainer im arabischen Raum, in Afrika, aber so extrem habe ich das noch nie erlebt. Wie in einem Restaurant wirste da oben bewirtet. Da stehen die Leute am Buffet und nehmen ihr Mittag ein, essen nach dem Spiel noch mal und gehen dann nach Hause. Und das alles beim Fußball. Das ist doch absurd.«
Pfisters Format ist selten im internationalen Fußballgeschäft. Er spricht aus, was er denkt – und steht auch zu seinen Worten. Ihn umgibt diese Helmut-Schmidt-Aura, nicht nur wegen der Qualmwölkchen, die ihn ständig begleiten. Nürnbergs Siegtreffer in der Nachspielzeit, den Platzsturm einiger Herthaner nach Abpfiff wird der 72-jährige nicht mehr erleben – er hat einen Termin in Berlin-Mitte. Genauer: im Kino Babylon.
Kein Urteil über Afrika
Sonnabend, kurz nach 22 Uhr: Das siebente Internationale 11-mm-Fußballfilmfestival ist fünf Stunden alt. Der prächtige Saal des Babylon ist brechend voll, die Luft steht, Otto Pfister müsste sich jetzt eine anstecken, um den Geruch der schwitzenden Menschenmasse zu überlagern. Macht er aber nicht. Stattdessen bildet er mit den Regisseuren des Eröffnungsfilms »Togo« ein schönes Bühnenbild vor großer Leinwand: zwei Schuljungen an der Tafel, die zum gestrengen Gesellschaftskundelehrer aufblicken. Pfister ärgern einseitige Abbildungen Afrikas, er liebt diesen Erdteil, der im Fokus des Festivals steht. Heute bleibt er diplomatisch: »Ich kann mir da kein Urteil erlauben. Was der Film nicht sein kann, ist ein pauschales Urteil über Afrika. Der ist punktuell auf die Situation abgestellt. Dort ist nicht alles negativ.«
Krankheit, Krieg und Korruption – es gibt diese reflexartige Sicht auf den Kontinent, der in wenigen Wochen erstmals Ziel des FIFA-WM-Rummels sein wird. Schlagworte, die schlecht fürs Geschäft sind. Folgerichtig, leider, die Vorbehalte gegen den Gastgeber Südafrika: Sicherheit, Infrastruktur, schleppender Ticketverkauf – unlängst ließ sich Uli Hoeneß zu der Feststellung hinreißen, »dass die WM-Vergabe an Südafrika eine der größten Fehlentscheidungen war, die FIFA-Präsident Sepp Blatter jemals getroffen hat«.
Es ist dieser überhebliche Blick auf den kommenden WM-Gastgeber, der zeigt, woran das westliche Selbstverständnis vom zeitgemäßen Fußball krankt. Der ehemals urige Sport wird zum »Premium-Produkt« gewandelt. Mit aller Gewalt. Ein Produkt, das sich der Austauschbarkeit, der Berechenbarkeit unterworfen hat. Stadien werden sterile Arenen, die überall den gleichen Zirkus liefern. Kalter Sichtbeton, schrille Reklame, ohrenbetäubende, stimmungstötende Volksfestbeschallung – der Fußball wendet sich hin zum Kunden und löst sich von denen, die ihn lieben. Löst sich von den Enthusiasten, die diesen Sport verfluchen, weil sie nicht von ihm loskommen. Weil sie süchtig sind, sich selbst nicht erklären können, warum sie Woche für Woche quer durchs Land gondeln, um ihre Mannschaft im Dauerregen bei einer Niederlage beobachten zu können. Sie sind unbequeme Statisten einer gewaltigen Event-Maschinerie, die ihre Fußballtempel feiert, während sie den Abbau unrentabler, stimmungsfördernder Stehplätze vorantreibt. Otto Pfister bringt dieses Verständnis vom »modernen Fußball« auf den Punkt: »Da ist keine naturelle Liebe. Kein Fieber. Es ist ein reines Geschäft.«
Es tobt der Kulturkampf um den Fußball. Ein Kampf um ein Kulturgut, an dem sich zunehmend Künstler, Kreative abarbeiten. Filme, Bücher, selbst an Uni-Instituten sind Abschlussarbeiten zu Begleiterscheinungen dieses Sports in Mode. Vorbei die Zeit, als Intellektuelle verschämt die Liebe zu einem Fußballklub einräumten. Den Blick senken heute eher diejenigen, die Fußball noch immer für einen rauen Proletensport halten.
Der Kampf hat seit dem Sommermärchen-Bohei der WM 2006 Schwung bekommen. Die Traditionalisten, denen Stehplatz, Bier und Stadionwurst reichen, um glücklich zu sein, sehen sich einem Angreifer ausgesetzt, der übermächtig scheint. Ein Angreifer, der Komfort, Unterhaltung, einen klinischen Sport ohne störende Zwischengeräusche predigt.
Dennoch – es gibt Hoffnung für die vermeintlich Gestrigen, die sich gegen diesen kalten, rationalen Blick auf das emotionale Ereignis Fußball stellen: Fünf Tage 11-mm-Festival zeigen, sie sind nicht allein. Fünf Tage Filme von Fußballenthusiasten für Fußballenthusiasten – über Fußballenthusiasten. Fünf Tage, die zu einer gelebten Liebeserklärung werden. Zu einer Liebeserklärung an das Spiel.
50 Filme stehen im Wettbewerb, Höchstmarke bislang. Im ersten Jahr, 2004, wurden im Kino Central einem kleinen Publikum elf Filme vorgeführt – Thema: englischer Fußball. Nur sechs Jahre später erschlägt der thematische Reichtum: togolesische Fans, die sich mit der Staatsmacht anlegen, weil sie nicht zur WM nach Deutschland ausreisen dürfen. Eine angolanische Nationalmannschaft, die es vier Jahre nach dem blutigen Bürgerkrieg nicht fassen kann, an diesem Turnier teilzunehmen. Der erste deutsche Fußball-Stummfilm auf großer Leinwand mit wundervoller Piano-Begleitung eines 23-jährigen Sonderpädagogik-Studenten. Politische Gefangene, die auf der südafrikanischen Zuchthausinsel Robben Island Fußballturniere organisieren.
Die Filme zeigen vor allem eins: Menschen, für die der Fußball zentraler Lebensinhalt ist. Egal, ob sie Fan, Spieler, Funktionär sind. Sie alle verbindet die Leidenschaft zu diesem Sport und seinem widersprüchlichen Umfeld.
Es ist kein Zufall, dass sich zwei Filme den ersten Platz des Publikumspreises teilen, die diese Widersprüche bildhaft aufzeigen: »Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel« und »Eisern vereint«. Geschichten um zwei völlig unterschiedliche Entwürfe gelebter Fußball-Kultur. Hier das verschlafene Nest im Badischen, das zum Ziel einer Manager-Invasion wird. Menschen in lachsfarbenen Hemden, die im Dorfkrug von »positiven Soft Skills« sprechen und »Produkt« sagen, wenn sie den Fußball meinen. Die für etliche Millionen Euro ein Stadion mitten ins Nichts pflanzen lassen: an ein Autobahnkreuz bei Sinsheim.
Und in Berlin-Köpenick eine verschworene Gemeinschaft von Fans des 1. FC Union Berlin, die ihrem Verein einen beispiellosen Liebesdienst erweisen: Sie sanieren ihr Stadion, ehrenamtlich, über den Zeitraum von einem Jahr und beweisen, dass es anders geht. Dass Fußballfans sich nicht zu Kunden eines Produkts degradieren lassen müssen. Dass es Alternativen zur baulichen und atmosphärischen Gleichmacherei deutscher Stadien gibt. Dass der Fußballsport integrativ wirken kann, dass er eine Chance bietet, die Verirrten dieser Gesellschaft aufzufangen, ihnen Gemeinschaftssinn beizubringen.
Bastelstuben für Ultras
Fußball kann die Vereinzelung, die trostlose Langeweile aufbrechen, in deren Konsequenz Menschen ans Aufgeben denken, aus dem System fallen. Das ist eine wichtige Erkenntnis in einer Zeit, in der der Leiter der Deutschen Polizeigewerkschaft die auf langfristige Gewaltprävention ausgelegte Arbeit von Fanprojekten als »Bastelstuben für Ultra-Fans« verhöhnt.
Donnerstagmittag. Andreas Leimbach, Christoph Gabler und Birger Schmidt sitzen beim Italiener in Prenzlauer Berg. Sie sind die Köpfe der 11-mm-Mannschaft, die Strapazen der vergangenen fünf Festival-Tage sind an den Augenringen ablesbar. Dennoch – die Drei wirken gelöst, aus gutem Grund. Ihr Festival macht Mut. Es hat die schöne Botschaft, dass Gemeinschaftssinn, Enthusiasmus, Engagement bescheidene finanzielle Mittel überragen können. Leimbach drückt es so aus: »Wir machen es als Hobby. Und wir machen es nebenbei. Es kann überhaupt nicht davon gesprochen werden, dass wir uns in irgendeiner Form angemessene Gehälter zahlen. Es gibt jedes Jahr diese wundervollen Momente, diese emotionale Achterbahnfahrt auf diesem Festival, die uns zeigt, dass sich die ganze Arbeit lohnt.«
Einer dieser Momente spielte sich wenige Stunden zuvor auf der »shortkicks-Gala« ab, die den Abschluss des Festivals bildet. Der Gewinner des Kurzfilm-Preises war keine der technisch aufwendigen, originellen Produktionen. »Des Königs Fußball jüngster Trabant«, ein schlichter Film von 1967, der die Liebe eines kleinen Jungen zu seinem Fußball anrührend einfängt, hat die Jury überzeugt. Der Regisseur des lange verschollenen Streifens, Walter G. Puls, findet unter Tränen Worte des Dankes, die bildhaft für das 11-mm-Festival gelten: »Sie haben die Seele des Fußballs gesehen und erkannt.«
Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel ... spiel.html
Verliebt in das Spiel (Artikel aus der "Neues Deutschland")
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ExilKasseler
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Re: Verliebt in das Spiel (Artikel aus der "Neues Deutschland")
Hätte HIERHER gepasst, Jens! 
RWG aus B v. C.
u.n.v.E.U.u.d.KSV
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Re: Verliebt in das Spiel (Artikel aus der "Neues Deutschland")
Stimmt, wäre 'ne Option gewesen. Mir ist das Forum in den letzten Jahren zu unübersichtlich geworden. Habe keine Lust, hier Stunden lang alles abzusuchen, ob da eventuell schon was vorhanden sein könnte, was passt. Aber ich denke, der Artikel ist durchaus 'nen eigenen Thread wert. Ansonsten kann er ja gerne in den anderen verschoben werden.
Danke jedenfalls für den Hinweis!
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Joh 14,6
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ExilKasseler
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Re: Verliebt in das Spiel (Artikel aus der "Neues Deutschland")
Ohjeee... wenn dir dit hier schon zu unübersichtlich ist, dann sollteste NIE NIE NIE im unionforum.de vorbeischaun
Naja, kiekt euch die Filme ruhig mal an, lohnt sich wirklich
Naja, kiekt euch die Filme ruhig mal an, lohnt sich wirklich
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Re: Verliebt in das Spiel (Artikel aus der "Neues Deutschland")
Das hatte ich auch nicht vor
. Nee, ehrlich, früher (jaja, ich weiß "früher war alles besser, früher war alles gut"
) gab es hier 3-5 Unterforen, da hat fan noch jeden Beitrag in jedem Unterforum mit Interesse gelesen. Heute ist das, erst recht wenn man nur noch hin und wieder hier mal reinguckt, einfach nicht mehr drin - wenn es für einen auch noch ein non-virtuelles Leben gibt
.
Natürlich hätte ich Deinen "Kino-Tipp" ein paar Threads unter diesem hier entdecken können. Aber da erst mal drauf kommen, dass sich dahinter die gleiche Filmreihe verbirgt, wie sie im ND-Artikel vorkommt...
So, und nun bitte Kommentare zum Artikel
!
Natürlich hätte ich Deinen "Kino-Tipp" ein paar Threads unter diesem hier entdecken können. Aber da erst mal drauf kommen, dass sich dahinter die gleiche Filmreihe verbirgt, wie sie im ND-Artikel vorkommt...
So, und nun bitte Kommentare zum Artikel
Joh 14,6