Happy Birthday, Auestadion!

Happy Birthday, Auestadion!

Die Heimat der Löwen wird 60

Was wünscht man jemanden, der 60 wird? Ein langes Leben? Braucht man bei Dir nicht. Du hast erst vor ein paar Jahren eine Schönheitskur bekommen, die Dir die nächsten Jahrzehnte viel Gesundheit bescheren wird. 

 

Vielleicht wünscht man Dir eher, dass Du Deinen Namen behalten kannst. In den Zeiten der Trolli- und Schauinsland-Arenen ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Vielleicht gibt es ja für Dich eine Lösung, wie bei Deinem Cousin in Braunschweig. Da kauften mehrere Sponsoren die Namensrechte und nannten das Kind wie bisher – Eintracht-Stadion. Früher störten sich viele an Deiner Laufbahn, die für eine gewisse Distanz sorgt. Doch Du hast im Gegensatz zu den ganzen 08-15 Arenen der heutigen Zeit noch eine Seele. Also nehmen wir Dich so, wie Du bist und freuen uns darüber, dass es Dich gibt.

 

Vor sechzig Jahren kamst Du auf die Welt. Viele, für die Du heute Heimat und Heiligtum bist, lebten zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Und was haben wir nicht alles gemeinsam erlebt? Goldene Erstliga-Zeiten in den fünfziger und sechziger Jahren. Eintracht Frankfurt war zu Gast, der VfB Stuttgart und der 1. FC Nürnberg. Zu Punktspielen! Und natürlich der FC Bayern München, der damals noch alles andere als ein Weltverein war, sondern die Nummer zwei in der Bayrischen Landeshauptstadt, hinter den „Sechzigern“. Mehr als 30.000 Zuschauer stürmten Dich damals und verbreiteten schon zu Zeiten, als von „Ultras“ noch keine Rede war, Gänsehautatmosphäre.

 

Und das, obwohl die Premiere gründlich in die Hose ging. Das offizielle Eröffnungsspiel am 23. August 1953 gegen Viktoria Aschaffenburg ging 1:2 verloren, es war die erste Heimpartie der Löwen in der damaligen 1. Liga Süd. Die Bundesliga sollte ja erst zehn Jahre später folgen. 20.000 waren damals dabei, für die damalige Zeit noch nicht einmal eine richtig große Kulisse. Toni Hellwig knipste vorne seine Tore und war Rekordschütze der Löwen, bis knapp fünfzig Jahre später ein „Fußball-Gott“ kam. Aber davon später mehr.

 

Kuriose Ereignisse gab es damals, von denen heute nur wenige noch was wissen. 1953 wurden Strohballen auf der Laufbahn angezündet, um den hartnäckigen Dezembernebel zu vertreiben. Half alles nichts! 30.000 mussten ohne das 1. Liga-Spiel gegen den 1. FC Nürnberg wieder nach Hause gehen, sie alle kamen eine Woche später zum 2:2 wieder. Zwei Jahre später brach im Spiel gegen den FC Bayern München Deine Torlatte, wohlgemerkt bei einem Zweitliga-Spiel. 15 Jahre vor dem legendären Pfostenbruch am Mönchengladbacher Bökelberg! Anders als im Rheinland wurde die Latte wieder geflickt, so das der 3:2-Sieg Deiner Löwen gewertet werden konnte. Damals waren ja diese Dinger noch aus Holz und nicht aus Aluminium.

 

Einige Jahre später hielt Karl Loweg seinen Kasten sauber und vorne knipste Peter Jendrosch die Tore. Wenn er traf, war die Stimmung nicht selten so, wie sie heute beim FC St. Pauli ist. Vielleicht doch etwas anders. Frauen haben Dich damals selten besucht. Und die Männer hatten im Stadion, die Spiele fanden in der Regel am Sonntagnachmitag statt, Anzug und Krawatte an. Nicht alle, die das sehen wollten, fanden damals in Dir Platz. Legendär, das viele Fans damals in den Bäumen der Aue saßen, um das Geschehen auf Deinem Rasen verfolgen zu können. 1964 warst Du die Bühne für das erste große Drama der Löwen. Gegen Hannover 96 ging es um den Aufstieg in die Bundesliga. Der KSV führte bis eine Viertelstunde vor Schluss 1:0 durch Hans Michel, dem damaligen Mannschaftskapitän. Doch dann drehten die Niedersachsen das Spiel, gewannen mit 2:1. Diese Niederlage sorgte dafür, das der KSV nicht in die Bundesliga kam. 30.000 waren laut alten Zeitungsberichten damals Dein Gast, andere Quellen sprachen sogar von 37.000. Genau lässt sich das alles nicht mehr ermitteln. Genauso, wie ein halbes Jahr später die Kulisse beim legendären Pokalspiel gegen den Hamburger SV. Uwe Seeler kam und ganz Nordhessen wollte dieses Match sehen. Offiziell waren es 33.000 Zuschauer. Da aber irgendwann die vor dem Stadion wartenden Menschenmassen die Kassenhäuschen überrannten, waren es sicherlich einige mehr. Die Zuschauer standen bis an die Seitenlinie, die Spieler konnten kaum eine Ecke oder einen Einwurf ausführen. Die Polizei sprach hinterher von 38.000 Besuchern. So viele kamen zuvor und danach nicht wieder. Doch nun gab es magere Jahre für Deine Löwen. Richtig Stimmung war nur noch im Pokal angesagt. Da waren Deine Plätze so begehrt, wie einige Jahr zuvor bei fast allen Ligaspielen. Die stolzen Bundesliga-Kicker der Frankfurter Eintracht gingen am Silvestertag des Jahres 1966 mit 2:6 unter. Wenige Tage später gab es ein tolles Pokal-Duell gegen den SV Werder Bremen. 2:2 hieß es vor 25.000 Zuschauern nach Verlängerung. An einem nasskalten Dezembertag im Jahre 1970 kamen fast alle späteren Weltmeister von 1974 und besuchten Dich. Der Beckenbauer-Franz, der Maier-Sepp, der Breitner-Paul, der Müller-Gerd und natürlich auch der Hoeneß-Ulli. Doch sie schafften es mit ihrem inzwischen schon recht großen FC Bayern München nicht, sich gegen Deine Löwen und gegen 34.000 lärmende Fans durch zu setzen. 2:2 nach Verlängerung, vielleicht war es das größte Spiel, das Du je gesehen hast. Oder war es doch, auf den Tag genau zehn Jahre später, das unglaubliche 4:4 gegen den Zweitliga-Tabellenführer Darmstadt 98, als 17.000 fast einen Herzinfarkt bekommen haben, weil der Spielverlauf so verrückt war? 0:2, 2:2, 4:2, 4:4? Nein, das war alles nichts gegen das 5:4 im St. Pauli-Spiel 1984, als Deine Löwen zur Pause schon 1:4 hinten gelegen haben und Dirk Bakalorz, Heinz Traser, Horst Knauf und Peter Cestonaro mit ihren Toren die Partie noch kippten?

 

Äußerlich hast Du Dich bis Ende der 80er Jahre kaum verändert. Gut, irgendwann kam 1970 Bandenwerbung hinzu und schmückte Dich. Autohaus Neuenhagen, Herkules-Bier, Auto Rößler und Sporthaus Kajulä – wer kennt noch die Namen? Zur Halbzeit rief Stadionsprecher Erich Balders dazu auf, nach dem Spiel den Weg zum „fröhlichen Vick“ nicht zu verpassen. Und wer war schneller als der Durst? Geträäääänke Rieeeeeedinger.....  Du hattest immer einen besonderen Duft. Nein, Chanel N 5 war es nie. Du bist ja auch nicht weiblich. Eher etwas herber. Eine Mischung aus Zigarette, Bier, Bratwurst und Pfeife. Aber irgendwie gut und unverwechselbar. Die Zeit wurde auf der alten Uhr angezeigt, die bis zum Umbau des Stadions oben auf der Südkurve thronte. 1976 musste Deine Ligusterhecke weichen, die das Spielfeld von den Zuschauerrängen trennte. Ein Zaun musste her, weil ausgerechnet der Lokalrivale KSV Baunatal in die zweite Liga aufstieg. Da sich das Parkstadion noch in der Planung befand, war die Stadt Kassel so freundlich, den Baunataler Kickern ein Gastrecht zu ermöglichen. Für viele hartgesottene Löwen-Fans war das so, wie eine „feindliche Übernahme“. Doch die gab es in den siebziger Jahren noch nicht. In den ersten beiden Spielen strömten tatsächlich 35.000 Zuschauer zu Dir, um die Mannschaft aus der VW-Stadt zu erleben. Gut, die Gegner hießen 1860 München und 1. FC Nürnberg. Fußball-Nordhessen war ausgehungert nach großem Fußball, weil „Deine“ Löwen inzwischen nur noch drittklassig waren. Doch das Blatt wendete sich. Nach der Baunataler Anfangseuphorie verloren sich am Samstag oft nur 1.500 Zuschauer gegen den FC Homburg oder den Karlsruher SC auf Deinen Rängen, einen Tag später, gab es gegen Sindlingen, Griesheim oder die Eintracht Frankfurt Amateure nicht selten 4.000 Zuschauer, wenn der für viele Löwenfans „richtige“ KSV kickte. Und wenn Bürstadt oder Dillenburg  kamen, waren oft wieder mehr als 10.000 da, gegen Bergshausen sogar 18.000. So, wie viele Jahre zuvor, als noch Holger Brück, Uwe Habedank, „Gerdchen“ Grau und „Rolli“ Fritzsche das Weiß-Schwarze Trikot trugen.


Deine Löwen kamen zurück. Baunatal stieg 1979 aus der zweiten Liga ab, kurioserweise zu dem Zeitpunkt, als das eigene Parkstadion endlich fertig war. Ein Jahr später, im Mai 1980 stieg Dein KSV, nach mageren sechs Jahren Oberliga Hessen endlich wieder auf. Tolle Zeiten kamen. Du warst alle zwei Wochen rappelvoll besucht, gegen Kickers Offenbach, Hannover 96, Hertha BSC Berlin und Schalke 04 kamen regelmäßig über 20.000 Zuschauer. Apropos Schalke. Kannst Du Dich noch an das legendäre Pokalspiel im August 1981 erinnern? Helmut Hampl und Heinz Traser erzielten jeweils zwei Tore und fegten die Königsblauen mit 4:1 aus dem Stadion. Zwei Wochen später gab es eine Neuauflage in der zweiten Liga. Deine Löwen haben auch dieses Spiel gewonnen - Peter Kempa, Gott hab ihn selig, knallte einen Ball aus fast 30 Metern in die Maschen. Die Schalker Fans waren so angefressen, dass sie damit angefangen haben, Deinen Zaun an der Südkurve zu zerstören. Und die schöne Bandenwerbung vom „Tanzpalast Orion“ wurde zertrampelt. Bis endlich Polizei und Ordner kamen.

 

1985 hast Du die nächste Tragödie der Löwen miterlebt. Und wieder zeigte sich Hannover 96 als Spielverderber. 23 Wochen standen Deine Löwen auf Platz eins in der zweiten Liga. Bis zum vorletzten Spieltag. 23.000 Zuschauer, das hieß damals ausverkauft. Ein Sieg und das Ticket für die Reise zum FC Bayern München oder den Hamburger SV wäre gebucht gewesen. Helmut Hampl, der zu diesem Zeitpunkt schon wusste, das Trainer Jörg Berger ihn ausmustern würde, machte zwei Tore – es stand 2:0. Doch Hannover kippte wieder das Spiel. 2:2 hieß es bei Gluthitze am Ende, der KSV war immer noch erster – rutschte aber nach einem 0:2 in Nürnberg am letzten Spieltag auf Rang vier zurück. Nichts war es mit der Bundesliga. Der gemeine Nordhessen zeigte sich enttäuscht und wollte Dich nicht mehr so oft sehen. In die klammen Kassen des KSV kam immer weniger Geld, alle die gut kicken konnten, mussten verkauft werden. Hans Wulf, Dirk Bakalorz, Volker Münn und Peter Cestonaro. Die Folge war der Abstieg 1987. Auch wenn Du nun, als Dein KSV nur noch drittklassig war, endlich ausgebaut wurdest. Neben der alten Haupttribüne entstanden die Nord- und die Südtribüne.

 

Der abermalige Zweitliga-Aufstieg 1989 mit Helden wie Dieter Hecking, Terry Scott und Lothar Sippel war leider nur ein Strohfeuer. 1993 gab es den ersten Konkurs, 1998 den zweiten. Der erste Konkurs hatte zur Folge, das nicht mehr Dein KSV auf Deinem Rasen spielte, sondern ein gewisser „FC Hessen“. Die Sympathien für diesen Club waren nicht sonderlich groß. Zumindest wollten Dich zu dieser Zeit oft nur noch 1.000 oder 1.500 Getreue besuchen. 1998 brach alles zusammen. Es gab einen Neuanfang in der Kreisliga, also ganz unten. Zu diesem Zeitpunkt noch ohne Dich. Du warst einfach zu groß. Dabei kamen zu Deinem kleinen Bruder, dem „Löwenkäfig“, oft nicht weniger Zuschauer als beim FC Hessen in der Regionalliga. Doch die Gegner hießen nicht mehr SSV Ulm 1846 oder Waldhof Mannheim, sondern Simmershausen und Wolfsanger II. Dafür hatte Dein Verein seinen alten Namen wieder. In der Zwischenzeit war bei Dir nicht mehr viel los. Gut, im Freundschaftsspiel gegen Bayern München kamen noch einmal 18.000. Aber ansonsten bröckelten die Stehstufen, auf denen Jahre zuvor noch tausende „Toooooooooor“ geschrien haben, wenn Helmut Hampl traf oder Hans Wulf den Ball aus dem Winkel holte.

 

Dein KSV stieg Jahr für Jahr auf. Und so wurdest Du, so marode Du damals warst, doch wieder gebraucht. Im Mai 2001 feierten 4.500 Zuschauer einen 4:2-Sieg gegen Eintracht Baunatal. Der Aufstieg in der damals fünftklassige Regionalliga war damit so gut wie sicher. In der hattest Du dann wieder Woche für Woche Besuch, der „Löwenkäfig“ war nun nur noch Heimat für die zweite Mannschaft der Löwen. 2002 gelang dann der Aufstieg in die Oberliga Hessen. Julio Cesar da Rosa wirbelte auf dem Flügel, Andy Mayer, nein nicht der „Bobo“, sondern der „Champions-League-Andy“ zirkelte die Freistöße in die Tore, die auf Deinem Rasen aufgestellt waren. Und vorne knipste ein gewisser Thorsten Bauer, genannt „Fußball-Gott“, wie es seit Toni Hellwig keiner mehr getan hat. Da Du immer weiter am bröckeln warst, folgte 2005 endlich die Schönheits-OP. Zuerst wurde die alte Gegengerade abgerissen, später dann die Kurven. Du wurdest schöner wieder aufgebaut, als je zuvor. Die Kurven waren bald höher als früher, da wo zuvor viele im Regen und Wind ausharrten, entstand die Osttribüne. Passend dazu gelang 2006 der Aufstieg in die Regionalliga. Nun gab es oft wieder fünfstellige Zuschauerzahlen, Du wirktest jünger und moderner als je zuvor. Vielleicht gab es zu dieser Zeit auch den schönsten Treffer, den Du je gesehen hast. Flanke Marc Arnold von der Mittellinie und im Strafraum flog Thorsten Bauer heran und rammte den Ball mit seinem blonden Schädel dem Wehener Torwart Adnan Masic in die Maschen. Dieses Tor schaffte es in der Auswahl zum Tor der Woche in der ARD-Sportschau immerhin bis auf Platz zwei. „Torschütze mit der Nummer 10 – Thoooooorsten Bauer“ - wie oft hat das Charly Wimmer in sein Mikrofon gebrüllt?

 

2008, an einem lauen Maientag, strahlte sogar zum ersten Mal Flutlicht auf Deinen Rasen. Naja, genau genommen zum zweiten Mal. 1973 gab es bei einem Freundschaftskick mal eine mobilie Flutlichtanlage. Doch nun richtig Flutlicht! Das wir das noch erleben durften! Der hr war sogar live bei diesem Ereignis dabei. Schon 1983 versprach ein gewisser Hans Eichel, damals noch Oberbürgermeister von Kassel, das dieses Kunstlicht „kurzfristig“ scheinen würde. Nun gut, 25 Jahre später war es dann wirklich soweit. Aufregung gab es kurze Zeit später, als Deine alte Haupttribüne weichen musste. Sie wurde tatsächlich 1953 mit minderwertigen Material gebaut! So etwas! Nun musste sie weg, trotz Denkmalschutz. Das was kam, war aber so richtig toll! Ein großer VIP-Raum, in dem sich Deine am besten zahlenden Gäste richtig wohl fühlen, geräumige Presseräume und bequeme Sitze mit guter Sicht. Du siehst jetzt also richtig gut aus – und das bei Deinem Alter. Und wenn Deine Löwen dann erst einmal den lang ersehnten Sprung in die 3. Liga schaffen... tolle Zeiten stehen Dir dann bevor.

 

In diesem Sinne – auf die nächsten 60 Jahre, Du gutes, altes, neues Auestadion!


Oliver Zehe

Veröffentlicht: 24.08.2013

© KSV Hessen Kassel e.V.
Datum des Ausdrucks: 24.04.2024