Löwen 4:3 - Chala kippt Wahnsinns-Spiel

SV Darmstadt 98 - KSV Hessen 3:4 (1:0)
Der KSV Hessen hat das Verfolgerduell bei Tabellenführer Darmstadt 98 sensationell mit 4:3 gewonnen. Durch eine starke Vorstellung vor allem in der zweiten Halbzeit war der Sieg vor 7.700 Zuschauern - davon 1.300 aus Kassel - hochverdient.
So ein bisschen fehlen einem auch noch Stunden nach dem Spiel die Worte. Das was sich am Samstagnachmittag am Darmstädter Böllenfalltor abspielte, ist schwer zu beschreiben, man muss es selber erlebt haben. Ein Wechselbad der Gefühle, Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt lagen dicht beieinander. Heiss und kalt im Minutentakt. Am Ende gab es dann ein Happy End, dass bei einem Kinofilm als kitschig bezeichnet worden wäre. Kasseler Träume wurden Wirklichkeit.

Insbesondere die Zweite Halbzeit war unglaublich, vermutlich das beste, was eine Kasseler Fussballmannschaft in den letzten Jahren gespielt hat. Unfassbar, was sich da auf dem Rasen des Böllenfalltores tat. Die Löwen fegten wie aufgezogene Spielzeugmäuse über den Platz, wirbelten im Stile einer Heimmannschaft in der Höhle des Spitzenreiters. Und wenn die Lilien dann doch wieder zu einem Tor gekommen waren, ballten sie die Fäuste und warfen wieder alles nach vorne. Unfassbar!

Das Spiel begann mit einigen kleinen Überraschungen. Julio Cesar da Rosa musste nach seiner eher mässigen Vorstellung gegen Bernbach zunächst auf der Bank Platz nehmen, dafür kam Nico Steffen neu ins Spiel, um die Flügel zu stärken. Auch der wieder genesene Sebastian Busch blieb zunächst draussen. Für die Kreativ-Kräfte Owusu und Kayacik war kein Platz. Ein Schachzug, der die erste halbe Stunde aufging. Beherzt ging der KSV in die Zweikämpfe, während Darmstadt sehr nervös wirkte und viele Bälle nicht da ankamen, wo sie hin sollten. Und fast führte das aggressive Spiel der Löwen zum Erfolg. In der 24. Minute hatten die 1.300 KSV Fans zum ersten Mal den Torschrei auf den Lippen, doch ein Kopfball von Thorsten Schönewolf klatschte nach einem Eckstoß nur gegen das Gebälk des Darmstädter Tores. Die Führung wäre zu diesem Zeitpunkt nicht unverdient gewesen. Doch die Lilien fanden langsam zu ihrem Spiel. Vor allem bei Standartsituationen zitterte die Kasseler Deckung merklich. So auch in der 32. Minute. Jovanovic schlug einen Freistoß aus Halblinker Position messerscharf in den Strafraum und Ciuca köpfte den Ball gegen drei Löwen-Verteidiger in die Maschen. Zoran Zeljko war ohne Chance. Danach passierte dann nicht mehr viel bis zum Seitenwechsel. Die Lilien hatten die Partie nun gut im Griff, ohne zu glänzen, beim KSV fehlte ein zweiter Mann in der Spitze, der Thorsten Bauer unterstützte. Dieser ging weite Wege, liess sich bis in die eigene Hälfte zurück fallen - mit der Konsequenz, dass er den gegnerischen Strafraum nicht mehr zu Gesicht bekam.

Hans-Ulrich Thomale reagiert zur Halbzeit. Für den tapfer kämpfenden Tobias Nebe, der aber wenig Akzente setzen konnte, bringt der Trainer mit Julio Cesar da Rosa eine zweite Sturmspitze. Und nun geht die Post ab. Mit aggressiven Forechecking werden die Lilien schon in der eigenen Hälfte zu Fehlern gezwungen, der KSV agiert nun im Stile einer Heimmannschaft. Die 1.000 Fans auf der Gegengerade und 300 Anhänger auf der Tribüne bekommen nun ein stimmliches Übergewicht. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Eine präzise Flanke von Artur Tews, der in der zweiten Halbzeit immer stärker wurde, rammt der lange Nico Radler mit dem Schädel in die Maschen. Welch ein Jubel bei den KSV-Fans. Und mit ihrem Pressing setzen die Löwen den Gegner weiter unter Druck. Angriffe der Lilien bleiben die Ausnahme, Torchancen aus dem Spiel bei ihnen Fehlanzeige. Aber die Standart-Situationen! Nach einem Foul von Thorsten Bauer gegen Anicic, wuchtet dieser den Ball aus 25 Metern per Freistoß ins rechte, obere Toreck. Wieder Führung für Darmstadt, es war die erste Möglichkeit der Lilien in den zweiten 45 Minuten.

Aber der KSV hält sofort dagegen. Vom Anstoß weg, angefeuert von den Fans, nisten sich die Löwen in der Lilien-Hälfte ein. Kein Ball wird verloren gegeben, insbesondere Julio Cesar stellt mit seiner wuseligkeit die Lilien vor große Probleme. Und auch Kassel hat einen für die Standarts. Slawomir Chalaskiewicz schlenzt einen Freistoß in der 71. Minute gefühlvoll ins Darmstädter Tor, ein Treffer mindestens genauso schön wie der zuvor bei Darmstadt. Wieder Ausgleich. Bei Sturmböen und Dauerregen sind die Löwen-Fans auf der Gegengerade völlig durchnässt - aber egal, das Spiel lässt keinen frieren. Kassel stürmt in Richtung Führung, ein Schuß von Rudolph saust nur wenige Zentimeter am rechten Darmstädter Pfosten vorbei. Dann wieder Freistoß für die Lilien. 78. Minute. Fast die gleiche Position wie in der 64., wieder steht Anicic bereit. "Der geht nicht rein", schreit ein Kasseler Fan beschwörend. Doch, er geht rein. Diesmal links oben, Zoran Zeljko fliegt vergeblich.

Das war es wohl. Zwölf Minuten vor Schluß muss es das doch sein. Es war es nicht. Wieder werfen die Löwen alles nach vorne. Wo nehmen die diese Moral her? Taktik und ähnliches spielen schon lange keine Rolle mehr, beide Mannschaften wirken wie zwei Boxer, die immer wieder zurückschlagen. Das Spiel nimmt einen Verlauf wie vor ein paar Monaten in Erzhausen, wo am Ende der KSV mit 5:4 die Oberhand behielt. Nach dem Wahnsinn von Erzhausen der noch größere Wahnsinn von Darmstadt? Ja! Wieder flankt Tews den Ball hoch in die Mitte, Thorsten Bauer steht in der Mitte völlig frei - direkt abgezogen - 3:3. Die Darmstädter sinken zu Boden, während der Torschütze vor den Kasseler Fans auf der Haupttribüne ein Tänzchen vollführt. "Schluß jetzt - damit bin ich zufrieden" schreit ein sichtlich mitgenommener Kasseler Fan. Doch das war es immer noch nicht. 86. Minute - der Wahnsinn nimmt seine nächste Station. Freistoß für Kassel, kurz vor der Mittellinie. 45 Meter bis zum Tor. Chalaskiewicz nimmt Anlauf. "Was macht der verrückte denn jetzt, der schießt doch hoffentlich nicht direkt?" kräht ein Kasseler Fan mit heiserer Stimme. Doch, Chala schießt direkt. Der Ball fliegt hoch und weit in Richtung Darmstädter Tor, kein Problem für Torwart Gräber? Doch ein Problem. Der Ball senkt sich... und Tooooooooooooooor!

Wildfremde Menschen in Rot-Weiß umarmen sich, vollführen Tänze. Die Darmstädter Anhänger können es nicht fassen. Die Hälfte der ganz in Weiß gekleideten Lilien liegt apathisch auf dem Rasen, während im Kasseler Lager alle Dämme brechen. Noch drei Minuten. Gefühlte dreißig. Aber Darmstadt hat keine Energie mehr, um dieses Spiel noch mal zu drehen. Doch der Wahnsinns kennt noch zwei Stationen. 88. Minute Thorsten Bauer rutscht im Mittelfeld über den nassen Rasen, der Ball springt an seinen Arm. Gelb-rote Karte. Vollkommen überzogen. Der Schiedsrichter lässt nachspielen. Wofür eigentlich? In der zweiten Halbzeit gab es fast keine Sekunde Pause. Letzte Station des Wahnsinns von Darmstadt. Einen Chala-Schuss kann Gräber nur abklatschen, drei Meter vor dem Tor haut Julio Cesar den Ball mit dem Vollspann in die Wolken.

Dann das Ende. Wer hat Beruhigungstropfen?

Oliver Zehe



KSV Hessen: Zeljko - Krause, Schönewolf, Keim - Tews, Radler, Chalaskiewicz, Nebe, Steffen, Rudolph - Bauer.

Darmstadt: Gräber - Wolf, Leifermann, Ciuca, Süß - Jovanovic, Juskic, Anicic, Popp - Saridogan, Beigang.

Ausgewechselt: 46. Cesar da Rosa für Nebe, 70. Istenic für Steffen, 90. Busch für Rudolph - 85. Pleuler für Wolf, 88. Messinese für Popp.

Tore: 1:0 Ciuca (32.), 1:1 Radler (55.), 2:1 Anicic (64.), 2:2 Chalaskiewicz (71.), 3:2 Anicic (78.), 3:3 Bauer (84.), 3:4 Chalaskiewicz (86.)

Zuschauer: 8.000 (7.671 zahlende). Schiedsrichter: Stieler (Offenbach)

Gelb-Rote Karte: Bauer (88.).




<b>Stimmen zum Spiel</b>
Bruno Labbadia (Trainer Darmstadt 98):"Man darf eigentlich kein Spiel mehr verlieren, wenn man 10 Minuten vor Schluss mit 3:2 führt. Kassel kann jetzt mit breiter Brust in die nächsten Spiele gehen, wir hingegen werden das erst einmal verdauen müssen. Kassel wird sein Nachholpsiel gewinnen und dann in der Tabelle vor uns stehen."

Hans-Ulrich Thomale (Trainer KSV Hessen):"Wir haben lediglich ein Spiel gewonnen, mehr nicht. Der Sieg war zwar verdient, doch hat das noch gar nichts zu sagen. Die Mannschaft, die auch bei den vermeintlich kleinen Gegnern punktet, wird am Ende oben stehen."


<b>Impressionen:</b>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-20-223744_chala_zweikampf.jpg" width="300" height="195"><br>
<b>Spielszene: </b>Chala im Zweikampf</p>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-21-102033_einlauf_mannschaften.JPG" width="250" height="188"><br>
Einlauf der Mannschaften</p>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-20-223559_ksv_fanblock.JPG" width="300" height="225"><br>
Der KSV-Fanblock kurz vor dem Anpfiff</p>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-21-102101_ksv_fans_darmstadt.jpg" width="250" height="147"><br>
Der KSV-Fanblock kurz vor dem Anpfiff</p>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-20-223624_darmstaedter_wissenschaftler.JPG" width="300" height="225"><br>
"Nette" Transparente</p>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-20-222919_jens-rose_mit_lok.JPG" width="300" height="225"></p>
<p align="center">Jens Rose in Siegerpose vor seiner Lok in Kassel</p>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-21-93412_beimeinstieg.JPG" width="250" height="188"><br>
Fans beim Einstieg in den Sonderzug</p>
<p align="center"><img border="0" src="/pictures/04-03-20-224132_fans_im_bahnhof_darmstadt.JPG" width="300" height="225"></p>
<p align="center"><b>Bahnhof Darmstadt:</b> Die Löwen-Fans verlassen den Zug</p>

Fotos: Carsten Müller

<a href="videos/svd_ksv_3_4.wmv">Video des Fanclubs Löwenherzen vom Spiel in Darmstadt (11 MB)</a>

Aufstellung

Veröffentlicht: 08.07.2003

© KSV Hessen Kassel e.V.
Datum des Ausdrucks: 16.04.2024