Von Glanz und Übermut

KSV Hessen - VfB Stuttgart II 1:3 (0:1)
KSV Hessen verliert 1:3 gegen den VfB, zeigt aber eine tolle Leistung.
Als Sprecher Herbert Pumann am Ende der Pressekonferenz Jens Rose fragte, ob sie denn noch etwas vergessen hätten, antwortete der Präsident des KSV Hessen Kassel prompt: „Die Punkte", sagte er. Und das Lächeln über den eigenen Scherz wandelte sich in einen fragenden Blick - als wolle er die Runde provozieren und sagen: „Stimmt doch wohl, oder?"

Ja, es stimmt. Nur die Punkte fehlen zum Glücklichsein. Und diese Antwort ist bitter und schön zugleich für den Fußball-Regionalligisten. 1:3 hat er am Samstag vor 3500 Zuschauern im Auestadion gegen die zweite Mannschaft des VfB Stuttgart verloren. Er hat gegen den Tabellendritten dominiert, aber das eben ohne Erfolg. Nichts wurde es mit dem vierten Sieg in Folge.

Hätten jedoch Punktrichter wie beim Boxen oder beim Eiskunstlaufen über den Ausgang eines Fußballspiels zu entscheiden, die Löwen wären nie als Verlierer vom Platz gegangen. Nie. Der KSV punktete in den Kategorien Leidenschaft, Zusammenspiel, Dauerdruck, der VfB in der Kategorie Tore.

Das war der Unterschied an diesem Nachmittag, der so recht erst um 15.14 Uhr beginnen sollte - nach 44 Minuten Spielzeit: Peter Perchtold köpfte nach einem Freistoß völlig unbedrängt das 1:0 für den VfB. Bis dahin bestimmte der KSV das Spiel, ohne zu glänzen.

Den Glanz hob er sich für die zweite Hälfte auf. Und mit ihm den Rückschlag, die Hoffnung, den Übermut und die Tragik.

Schon zu Beginn der zweiten Halbzeit hätten selbst Floskelgegner eine Ausnahme gemacht: Ein Tor lag in der Luft, ja. Aber es fiel nicht: Nicht bei Mario Klingers Kopfball, nicht bei Thorsten Bauers unzähligen Kopfbällen, nicht bei Daniel Beyers Flugkopfball. Die Fans spürten, wie nah das Team dem Ausgleich war, das rhythmische Klatschen wollte gar nicht mehr enden. Immer weiter, immer nach vorn.

Arnold: „Ein Witz"

Doch dann kam der Rückschlag: KSV-Spielmacher Marc Arnold musste den Platz verlassen - Gelb-Rot nach einem Allerweltsfoul. Für ihn nicht nachvollziehbar: „Ein Witz. Mein Gegenspieler wollte das nur provozieren. Dabei mache ich noch einen Schritt zurück." Es hilft nichts.

Der KSV kämpft weiter, ja er spielt weiter. Mit zehn gegen elf. Es wird eines der intensivsten Fußballspiele der vergangenen Jahre in diesem Stadion. Zwölf gelbe Karten, Torchancen ohne Ende. Bauer und Cesar hüben, Manuel Fischer drüben. Wieder Bauer. Und dann Klinger. Klinger! Mit dem Kopf bringt er das fertig, was alle anderen Löwen nicht vollbracht hatten: Er schafft das 1:1 in der 75. Minute.

Trainer Matthias Hamann hätte nun ein Signal setzen können. Er hätte noch einen defensiven Spieler einwechseln können. Er hätte die Euphorie bremsen können. Er tat es nicht. Nachher sprach er von Übermut. Aber auch der ist ein Zeichen von Leidenschaft. Hamann ließ beides zu. Auch das ist bitter und schön zugleich, weil der KSV weiter nach vorn spielte, aber vergaß, dass auch die anderen noch Tore schießen können.

Denis Berger hatte das 2:1 für den KSV auf dem Fuß. Doch statt seiner traf neun Minuten vor Schluss Matthias Morys auf der anderen Seite. Und obendrauf noch Danny Galm. Niedergeschlagenheit beim KSV. „Aber die Moral hat gestimmt", sagte Mario Klinger. Nur die Punkte haben sie vergessen.

 

Von Florian Hagemann
HNA-Sportredaktion
Montag, 19. März 2007

 

Die Einzelkritik
Klinger vorn und hinten   

http://www.dasbesteausnordhessen.de/pictures/TNARTIKEL07-03-18-35247_KSV-STU-II_9049-800.JPG
zoomTorschütze Mario Klinger bedankt sich bei den Fans
Foto: Roland Sippel

Oliver Adler: Rettete gegen Manuel Fischer (45.), rettete gegen Adam Szalai (60.), rettete... - und machte keinen Fehler.

Turgay Gölbasi: Starker Beginn auf der rechten Abwehrseite mit schwungvollen Vorstößen, ließ bis zu seiner Auswechslung etwas nach.

Thorsten Schönewolf: Starke Rettungsaktion, als er in der 78. Minute den Ball noch von der Linie kratzte. Ansonsten solide wie immer.

Mario Klinger: Sollte es noch nirgendwo gestanden haben, hier steht es jetzt: Er wird mal ein wirklich Großer. Machte das Tor, sorgte trotz seiner diesmal defensiveren Aufgabe für Gefahr vorne und brillierte bei Tacklings in der Abwehr. Klinger war der Beste.

Michael Kümmerle: Sein Weitschuss in der 37. Minute hätte fast das 1:0 bedeutet. Ansonsten unauffällig.

Daniel Beyer: Zu Beginn äußerst elanvoll, danach mit mehr Defensivaufgaben.

Jan Fießer: Rückte für den gesperrten Dominik Suslik ins Team und gab einen anständigen Sechser.

Marc Arnold: Nicht so auffällig wie gewöhnlich - und dann auch noch Gelb-Rot. Arnold hatte schon bessere Tage in seinem Fußballerleben.

Denis Berger: Nach Klinger der Mann mit dem höchsten Wirkungsfaktor. Seine Flanken sorgten stets für Gefahr. Zudem sehr dribbelstark. Aber, aber, aber: Warum macht er das 2:1 nicht in der 80. Minute? Vergab die größte Chance zur Führung, weil er sich den Ball zu weit vorlegte.

Sebastian Wojcik: Der Neuzugang bemühte sich, kam zu ein paar kleineren Chancen in der ersten Halbzeit - zu mehr aber (noch) nicht.

Thorsten Bauer: Wenn es Tore nur für Fleißarbeit gäbe, wäre er allein mit diesem Spiel Torschützenkönig geworden. Sein Kopf muss ihm heute noch wehtun: Er köpfte und köpfte und köpfte und ärgerte sich und ärgerte sich und ärgerte sich. Weil nicht ein verdammter Kopfball im Tor landete. Manchmal gibt es eben auch diese Tage.

Julio Cesar: Kam in der 62. Minute und hatte eine starke Szene in der 80.: Setzte sich mit einem sehenswerten Solo auf der rechten Seite durch. Julio war ganz Julio: Er dribbelte - manchmal ein bisschen zu viel.

Bulut Aksoy: Ersetzte in der 65. Minute Sebastian Wojcik. Manchmal noch zu überhastet.

Von Florian Hagemann
HNA-Sportredaktion
Montag, 19. März 2007

 

 

Pfiffe gegen Bauer

Dass es dies einmal geben würde im Kasseler Auestadion: Pfiffe gegen Torsten Bauer. Aufgebrachte Zuschauer nach dem Spiel, deren Zorn sich gegen eine Person richtet: Torsten Bauer. Kritik des KSV-Trainers Matthias Hamann und vieler Löwen-Verantwortlichen an ihm: Torsten Bauer. Dabei steht der Name doch eigentlich für Publikumsliebling, für Kasseler Erfolg, ja sogar für Fußballgott.

Manchmal macht ein Buchstabe den Unterschied - und Torsten Bauer ist nicht gleich Thorsten Bauer.

Torsten Bauer ohne H ist zweifelsohne jener, den sie lieber nicht mehr sehen möchten im Auestadion: Der Mann in Schwarz stellte Marc Arnold vom Platz, zeigte zu schnell Gelb in einem fairen Spiel, wie Matthias Hamann nachher anmerkte - und das nicht zu Unrecht. Zwölfmal Gelb in einer Partie, die so hektisch nicht war, wollen erst einmal verteilt sein.

Und, ja und: Torsten Bauer gab sogar Thorsten Bauer Gelb. So war selbst Thorsten Bauer sauer auf Torsten Bauer.

Von Florian Hagemann
HNA-Sportredaktion
Montag, 19. März 2007

 

Veröffentlicht: 19.03.2007

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Datum des Ausdrucks: 24.04.2024