Perfekt und verpönt - das Wörtchen "Aufstieg"

Zwei Spiele vor Saisonende
Es hätte nicht viel gefehlt, und Walter Schimmel wären Tränen der Freude gekommen. "Haben Sie so eine Stimmung schon mal erlebt?" fragte der Zweite Vorsitzende des FSV Frankfurt und war sichtbar gerührt.
Meisterschaftsatmosphäre am Samstag nach dem 3:1-Heimerfolg des Oberliga-Spitzenreiters über Buchonia Flieden am Bornheimer Hang: Auf der Haupttribüne sangen die Frankfurter Fußballanhänger begeistert: "Wir steigen auf, wir steigen auf!" Und vor dem Fanblock stand die Siegermannschaft geschlossen in einer Reihe und nahm mit strahlenden Gesichtern die Ovationen entgegen. "So etwas spürt man. Dieses Team hat Spirit", lobte Manager Bernd Reisig die Ausstrahlungskraft der Siegertypen.

Ja, ist denn schon Christi Himmelfahrt? wird sich der unvoreingenommene Beobachter aber ein bißchen irritiert gefragt haben. Wohl erst am Feiertag, am 25. Mai, wenn der FSV am letzten Spieltag zu Hause den Rangzweiten Hessen Kassel empfängt, wird die Meisterschaft in der vierthöchsten Klasse entschieden. Obwohl: Von einem Endspiel um den Aufstieg in die Regionalliga Süd wollte Bernd Winter am Samstag gar nichts wissen. Für den Bornheimer Kapitän ist die spannende Angelegenheit bereits am kommenden Wochenende erledigt. Der FSV gewinnt in Karben; und Kassel, das im Moment einen Punkt Rückstand hat, verliert zu Hause gegen den Abstiegskandidaten Steinbach. So lautet die optimistische Prognose des selbstbewußten früheren Profis.

Willkommen im packenden Meisterschaftskampf, der zusehends emotionaler wird. Auf seiten der Kasseler hat Matthias Hamann offenbar die Aufgabe übernommen, den großen Konkurrenten aus Frankfurt psychologisch unter Druck zu setzen. Der Trainer, der mit seinem stechenden Blick so herrlich furchteinflößend in die Runde schauen kann. "Die Frankfurter Fans glauben, daß der FSV aufsteigt", sagte Hamann nach dem 5:0-Sieg seiner Mannschaft über die Karbener. "Mit unseren Anhängern im Rücken wissen wir aber, daß wir aufsteigen." Im Sonderzug nach Frankfurt an Christi Himmelfahrt sind alle Plätze belegt. Über 1000 Karten sind schon an die Kasseler Anhänger gegangen. Den mitreisenden Fans verspricht der Bruder des ehemaligen Nationalspielers Dietmar Hamann ein "Highlight". Noch aber ist es im Spielerkreis verboten, das Wort "Aufstieg" in den Mund zu nehmen. Wer es bei den "Löwen" dennoch ausspricht, muß einen Euro in die Mannschaftskasse zahlen. Und so war die Sprachfertigkeit von Daniel Beyer gefragt. "Ich hoffe, wir spielen im kommenden Jahr eine Liga höher", antwortete der Kasseler Spieler mit grinsendem Gesicht auf die Fangfrage eines Reporters.

Daß sich die Nordhessen zum ernstzunehmenden Jäger der Bornheimer entwickelt haben, hätte vor der Winterpause niemand gedacht. Acht Spiele, acht Siege, bei 23:0 Toren, so lautet jedoch die stolze Bilanz des hartnäckigen FSV-Verfolgers in den zurückliegenden Wochen. Beim Tabellenführer schauen sie unterdessen wieder betont zuversichtlich nach vorne. Die Heimniederlage gegen Alzenau liege "schon lange" zurück, sagte Winter. "Zum richtigen Zeitpunkt haben wir zu alter Stärke zurückgefunden. Wir haben keine Angst vor dem Saisonfinale", hob der Kapitän vielmehr angriffslustig hervor. Im Fall des Aufstiegs wollen die Frankfurter ein Gespräch mit Alexander Schur über dessen Verpflichtung führen. Bis zu diesem Dienstag wird die Mannschaft nichts von Michael Blättel hören, vom FSV-Trainer hat sie frei bekommen. Der Grund: "So stelle ich mir Fußball vor", machte Blättel seinen Spielern im packenden Aufstiegskampf ein dickes Kompliment.

<i>FAZ, 15.05.06</i>

Veröffentlicht: 15.05.2006

© KSV Hessen Kassel e.V.
Datum des Ausdrucks: 23.04.2024