Verfasst: 17. Dez 2002, 17:16
Am Ende ging nichts mehr ohne Polizeischutz
Schiedsrichter Christian Fischer war die Hauptperson beim Union-Desaster: Wieder Viktoria Köln, eventuell Punkte weg, dazu Spielabbruch und wohl hohe Strafen.
© Christian Beier
Kurz vor dem Anpfiff konnten Christian Fischer (Mitte) und auch Union-Schlussmann Michael Röttgen (im Hintergrund) noch lachen - dann nahm das Unheil seinen Lauf.
In Sachen Erfahrung im Fußball-Geschäft macht Günter Bremer keiner so leicht etwas vor. Deshalb wittert der Geschäftsstellenleiter des 1. FC Union Solingen, dass etwas nicht stimmt, als 45 Minuten vor dem geplanten Anpfiff des Oberliga-Spiels gegen Viktoria Köln das Schiedsrichtergespann noch nicht im Stadion am Hermann-Löns-Weg eingetroffen ist. Bremer wählt die Handynummer des angesetzten Schiedsrichters. In einer stillen Minute dürfte er das bereits bereut haben. Denn ohne seinen Anruf wäre dem 1. FC Union ein katastrophaler Samstagnachmittag erspart geblieben, der im Spielabbruch endete und empfindliche Geldstrafen sowie eine Platzsperre für den Verein nach sich ziehen dürfte.
Fast jede der Kuriositäten und Katastrophen wäre unter normalen Umständen eine eigene Geschichte wert. Bei der Fülle der sich überschlagenden Ereignisse ist eine Chronologie das Beste, um den Überblick zu wahren.
13.30 Uhr: Günter Bremers Anruf erreicht Christian Fischer. "Was ist los, stecken Sie im Stau?" fragt der Union-Mann. Dabei hat er den Schiedsrichter der Partie, die in 45 Minuten beginnen soll, auf seinem Sofa zu Hause im sauerländischen Hemer erwischt. Er sei davon ausgegangen, dass wie in Westfalen alle Spiele ausfielen, redet sich Fischer heraus. Der Unparteiische verspricht aber, sofort nach Solingen aufzubrechen.
Hönerbach will abreisen
14.05 Uhr: Stadionsprecher Jochen Güttes schenkt den rund 500 Zuschauern reinen Wein ein. Weil der Schiedsrichter noch nicht eingetroffen sei, verzögere sich der Spielbeginn
© Christian Beier
Solingens Trainer Bernd Klotz und seinem Team wurde die Weihnachtsfeier vermiest.
auf voraussichtlich 15 Uhr. Daraufhin taucht Kölns Spielertrainer Matthias Hönerbach bei Günter Bremer in der Geschäftsstelle auf. Der Ex-Profi weiß, dass er nur 30 Minuten warten muss und will eigentlich wieder abreisen. "Dann spielen wir irgendwann zwischen den Weihnachtstagen, das will doch keiner", beschwichtigt Bremer, und Hönerbach entschließt sich zum Bleiben.
15.07 Uhr: Schiedsrichter Christian Fischer, der unterwegs noch sein Gespann eingesammelt hat, lenkt seinen VW Golf auf das Stadion-Gelände und parkt unmittelbar vor der Umkleidekabine.
15.22 Uhr: 67 Minuten nach dem ursprünglich angesetzten Termin pfeift Fischer die Begegnung an. Beim Publikum, das in der Kälte ausharren musste, hat er keinen Kredit mehr. Pfiffe empfangen das Gespann.
15.59 Uhr: Die ersten 37 Minuten der Partie hat Christian Fischer torlos und ohne Probleme hinter sich gebracht. Aber jetzt wird er erneut zur Hauptfigur - bei einem der kuriosesten Tore, die je am Hermann-Löns-Weg fielen. Adnan Spago hält auf der linken Seite in Höhe des Strafraums seinen Gegenspieler fest. Vor der Ausführung des fälligen Freistoßes hat Fischer seinen Arm zumindest kurzzeitig oben, die komplette Union-Abwehr geht von einem indirekten Freistoß aus. Als der flache Schuss von Spielertrainer Hönerbach direkt aufs Tor kommt, weicht Torhüter Michael Röttgen dem Ball absichtlich aus, lässt ihn in die Maschen sausen. Ein indirekter Freistoß darf bekanntlich nicht ohne weitere Berührung ins Tor gehen. Doch nach kurzem Zögern entscheidet Fischer trotzdem auf Tor für Viktoria. Entsetzen und wütende Proteste bei Solingen, erste Freude bei den Kölnern, bei denen es direkt nach Hönerbachs Schuss keinen Jubel gegeben hat. Nach zwei gelben Karten für protestierende Union-Spieler und unter Schieber-Rufen der Fans geht die Partie weiter.
16.02 Uhr: Union-Manndecker Stephan Heller wird an der eigenen Torauslinie hart gefoult. Andreas Przybilla und ein paar Reservespieler stürmen auf den Übeltäter. Einige Schubser werden ausgetauscht, bevor die Situation geschlichtet ist. Christian Fischer zieht die härteste mögliche Konsequenz. Przybilla und der Kölner Nouredime Khelaifia werden des Feldes verwiesen.
Rätsel um Feuerwerkskörper
16.08 Uhr: Christian Fischer pfeift die erste Halbzeit ab. Während sich Schiedsrichter und Mannschaften auf den Weg in die Kabine machen, stürmen auch rund 200 aufgebrachte Union-Fans, darunter Hooligans, in Richtung des rund drei Meter breiten und 15 Meter langen Ganges, der von den Ordnern durch bewegliche Gittertore abgesichert ist. Trotzdem eskaliert hier die Situation. Fischer gibt kurz darauf gegenüber Union-Offiziellen an, dass er mit Bier bespritzt, bespuckt und mit Feuerwerkskörpern angegriffen wurde. Union-Trainer Bernd Klotz, der unmittelbar hinter dem Schiedsrichter geht, bestreitet die Version, Fischer sei von einer Dose am Kopf getroffen worden. "Es ist Bier gespritzt worden, ich habe auch etwas abbekommen, aber sonst war da gar nichts", erklärt der Ex-Profi. Die Feuerwerkskörper seien mindestens zehn Meter entfernt losgegangen.
16.10 Uhr: Nur zwei Minuten nach dem Halbzeitpfiff ist die Partie zu Ende. Der Schiedsrichter bricht die Partie ab, weil er seine Sicherheit nicht mehr gewährleistet sieht. Es dauert ein paar Minuten, bis die Nachricht zu Jochen Güttes gelangt, der den Zuschauern den Abbruch des Spiels verkündet. Rund 100 der insgesamt knapp 500 Zuschauer verlassen das Stadion aber nicht, sondern bauen sich vor dem Gitter des Umkleidetraktes auf.
16.25 Uhr: Der Zivilbeamte der Polizei, der die Partie begleitet hat, fordert bei seinen Solinger Kollegen Verstärkung an, um die sichere Abfahrt des Schiedsrichters gen Autobahn garantieren zu können. Christian Fischer und sein Gespann bleiben in der Schiedsrichterkabine. Er verweigert Gespräche mit dem Union-Vorsitzenden Berthold Rühlemann und Presse-Vertretern.
17.03 Uhr: Kurz nachdem mehrere Einsatzwagen der Polizei mit Hundeführern eingetroffen sind, ist der Zugang zum Stadion geräumt. Christian Fischer und seine Assistenten besteigen ihr Auto und fahren ab. Günter Bremer macht sich keine Illusionen. "Die Punkte sind weg, die Geldstrafe wird saftig, und wahrscheinlich bekommen wir eine Platzsperre", ahnt Bremer und macht sich wie Spieler und Vorstand auf den Weg zur Weihnachtsfeier der Mannschaft.
Solinger Tageblatt vom 16. Dezember 2002
Schiedsrichter Christian Fischer war die Hauptperson beim Union-Desaster: Wieder Viktoria Köln, eventuell Punkte weg, dazu Spielabbruch und wohl hohe Strafen.
© Christian Beier
Kurz vor dem Anpfiff konnten Christian Fischer (Mitte) und auch Union-Schlussmann Michael Röttgen (im Hintergrund) noch lachen - dann nahm das Unheil seinen Lauf.
In Sachen Erfahrung im Fußball-Geschäft macht Günter Bremer keiner so leicht etwas vor. Deshalb wittert der Geschäftsstellenleiter des 1. FC Union Solingen, dass etwas nicht stimmt, als 45 Minuten vor dem geplanten Anpfiff des Oberliga-Spiels gegen Viktoria Köln das Schiedsrichtergespann noch nicht im Stadion am Hermann-Löns-Weg eingetroffen ist. Bremer wählt die Handynummer des angesetzten Schiedsrichters. In einer stillen Minute dürfte er das bereits bereut haben. Denn ohne seinen Anruf wäre dem 1. FC Union ein katastrophaler Samstagnachmittag erspart geblieben, der im Spielabbruch endete und empfindliche Geldstrafen sowie eine Platzsperre für den Verein nach sich ziehen dürfte.
Fast jede der Kuriositäten und Katastrophen wäre unter normalen Umständen eine eigene Geschichte wert. Bei der Fülle der sich überschlagenden Ereignisse ist eine Chronologie das Beste, um den Überblick zu wahren.
13.30 Uhr: Günter Bremers Anruf erreicht Christian Fischer. "Was ist los, stecken Sie im Stau?" fragt der Union-Mann. Dabei hat er den Schiedsrichter der Partie, die in 45 Minuten beginnen soll, auf seinem Sofa zu Hause im sauerländischen Hemer erwischt. Er sei davon ausgegangen, dass wie in Westfalen alle Spiele ausfielen, redet sich Fischer heraus. Der Unparteiische verspricht aber, sofort nach Solingen aufzubrechen.
Hönerbach will abreisen
14.05 Uhr: Stadionsprecher Jochen Güttes schenkt den rund 500 Zuschauern reinen Wein ein. Weil der Schiedsrichter noch nicht eingetroffen sei, verzögere sich der Spielbeginn
© Christian Beier
Solingens Trainer Bernd Klotz und seinem Team wurde die Weihnachtsfeier vermiest.
auf voraussichtlich 15 Uhr. Daraufhin taucht Kölns Spielertrainer Matthias Hönerbach bei Günter Bremer in der Geschäftsstelle auf. Der Ex-Profi weiß, dass er nur 30 Minuten warten muss und will eigentlich wieder abreisen. "Dann spielen wir irgendwann zwischen den Weihnachtstagen, das will doch keiner", beschwichtigt Bremer, und Hönerbach entschließt sich zum Bleiben.
15.07 Uhr: Schiedsrichter Christian Fischer, der unterwegs noch sein Gespann eingesammelt hat, lenkt seinen VW Golf auf das Stadion-Gelände und parkt unmittelbar vor der Umkleidekabine.
15.22 Uhr: 67 Minuten nach dem ursprünglich angesetzten Termin pfeift Fischer die Begegnung an. Beim Publikum, das in der Kälte ausharren musste, hat er keinen Kredit mehr. Pfiffe empfangen das Gespann.
15.59 Uhr: Die ersten 37 Minuten der Partie hat Christian Fischer torlos und ohne Probleme hinter sich gebracht. Aber jetzt wird er erneut zur Hauptfigur - bei einem der kuriosesten Tore, die je am Hermann-Löns-Weg fielen. Adnan Spago hält auf der linken Seite in Höhe des Strafraums seinen Gegenspieler fest. Vor der Ausführung des fälligen Freistoßes hat Fischer seinen Arm zumindest kurzzeitig oben, die komplette Union-Abwehr geht von einem indirekten Freistoß aus. Als der flache Schuss von Spielertrainer Hönerbach direkt aufs Tor kommt, weicht Torhüter Michael Röttgen dem Ball absichtlich aus, lässt ihn in die Maschen sausen. Ein indirekter Freistoß darf bekanntlich nicht ohne weitere Berührung ins Tor gehen. Doch nach kurzem Zögern entscheidet Fischer trotzdem auf Tor für Viktoria. Entsetzen und wütende Proteste bei Solingen, erste Freude bei den Kölnern, bei denen es direkt nach Hönerbachs Schuss keinen Jubel gegeben hat. Nach zwei gelben Karten für protestierende Union-Spieler und unter Schieber-Rufen der Fans geht die Partie weiter.
16.02 Uhr: Union-Manndecker Stephan Heller wird an der eigenen Torauslinie hart gefoult. Andreas Przybilla und ein paar Reservespieler stürmen auf den Übeltäter. Einige Schubser werden ausgetauscht, bevor die Situation geschlichtet ist. Christian Fischer zieht die härteste mögliche Konsequenz. Przybilla und der Kölner Nouredime Khelaifia werden des Feldes verwiesen.
Rätsel um Feuerwerkskörper
16.08 Uhr: Christian Fischer pfeift die erste Halbzeit ab. Während sich Schiedsrichter und Mannschaften auf den Weg in die Kabine machen, stürmen auch rund 200 aufgebrachte Union-Fans, darunter Hooligans, in Richtung des rund drei Meter breiten und 15 Meter langen Ganges, der von den Ordnern durch bewegliche Gittertore abgesichert ist. Trotzdem eskaliert hier die Situation. Fischer gibt kurz darauf gegenüber Union-Offiziellen an, dass er mit Bier bespritzt, bespuckt und mit Feuerwerkskörpern angegriffen wurde. Union-Trainer Bernd Klotz, der unmittelbar hinter dem Schiedsrichter geht, bestreitet die Version, Fischer sei von einer Dose am Kopf getroffen worden. "Es ist Bier gespritzt worden, ich habe auch etwas abbekommen, aber sonst war da gar nichts", erklärt der Ex-Profi. Die Feuerwerkskörper seien mindestens zehn Meter entfernt losgegangen.
16.10 Uhr: Nur zwei Minuten nach dem Halbzeitpfiff ist die Partie zu Ende. Der Schiedsrichter bricht die Partie ab, weil er seine Sicherheit nicht mehr gewährleistet sieht. Es dauert ein paar Minuten, bis die Nachricht zu Jochen Güttes gelangt, der den Zuschauern den Abbruch des Spiels verkündet. Rund 100 der insgesamt knapp 500 Zuschauer verlassen das Stadion aber nicht, sondern bauen sich vor dem Gitter des Umkleidetraktes auf.
16.25 Uhr: Der Zivilbeamte der Polizei, der die Partie begleitet hat, fordert bei seinen Solinger Kollegen Verstärkung an, um die sichere Abfahrt des Schiedsrichters gen Autobahn garantieren zu können. Christian Fischer und sein Gespann bleiben in der Schiedsrichterkabine. Er verweigert Gespräche mit dem Union-Vorsitzenden Berthold Rühlemann und Presse-Vertretern.
17.03 Uhr: Kurz nachdem mehrere Einsatzwagen der Polizei mit Hundeführern eingetroffen sind, ist der Zugang zum Stadion geräumt. Christian Fischer und seine Assistenten besteigen ihr Auto und fahren ab. Günter Bremer macht sich keine Illusionen. "Die Punkte sind weg, die Geldstrafe wird saftig, und wahrscheinlich bekommen wir eine Platzsperre", ahnt Bremer und macht sich wie Spieler und Vorstand auf den Weg zur Weihnachtsfeier der Mannschaft.
Solinger Tageblatt vom 16. Dezember 2002