Verunsicherung essen Selbstvertrauen auf

1. FC Schwalmstadt - KSV Hessen 2:1 (1:1)
Trotz eines vielversprechenden Derby-Auftaktes des KSV Hessen durch das sehenswert herausgespielte und blitzsauber abgeschlossene Führungstor des diesmal von Beginn an eingesetzten Neuzugangs Nima Latifiahvas (4., Foto), konnte Aufsteiger 1. FC Schwalmstadt die Partie am Ende noch mit 2:1 zu seinen Gunsten wenden.
"Löwen auf dem Ziegenhainer Rutschparkett ganz zahm - 1:3" und "Heimstarker Neuling schlägt Spitzenreiter" lauteten vor fast 25 Jahren die Schlagzeilen als am 5. (!) Januar 1980 auf schneebedecktem Terrain der KSV Hessen mit solch namhaften Akteuren wie Walter Horch, Ex-Nationalspieler Klaus Zaczyk, dem Angriffs-Duo Helmut Hampl/Gerd Grau sowie dem jetzigen sportlichen Manager Bernd Sturm (erzielte damals im übrigen das Ehrentor) im "Stadion am Fünftenweg" gegen den TuSpo Ziegenhain in der Fußball-Oberliga unterlag. Diese Nostalgie-Partie lebte in vielen Köpfen vor Spielbeginn bei den Gastgebern, inzwischen ja als 1. FC Schwalmstadt ("Fußball-Heirat" zwischen TuSpo Ziegenhain und ESV Jahn Treysa) im Einsatz, wieder auf und schien für die "Neuzeit-Generation" auf dem Rasen gar einschwörenden Charakter zu haben. Hochmotiviert, gepaart mit Biss und Leidenschaft wollte die Elf von Spielertrainer Dragan Sicaja, der selbst verletzungsbedingt pausierte, den "Vorfahren" nacheifern beim, für die Schwälmer, wie für die meisten Oberliga-Vereine, wenn es gegen den KSV Hessen geht, na klar..."Spiel des Jahres".

Und der KSV Hessen? Die Löwen begannen vielversprechend und es deutete alles zunächst gar auf eine Wiederholung des vor zwei Wochen errungenen 3:0-Auswärtserfolges in Marburg hin. Christoph Keim - erwartungsgemäß in seiner Wahl-Heimat und gegen das Team seines Bruders Jens zusätzlich motiviert - rückte nach vier Spielen Sperre wieder in die Abwehr-Dreierkette, während Torjäger Thorsten Bauer von der Sturmmitte über rechts bzw. etwas versetzt agieren sollte und Neuzugang Nima Latifiahvas diesmal von Beginn an und da wo er sich am wohlsten fühlt - im Angriffszentrum - ran durfte. Des Trainers Schachzug und Rechnung schien aufzugehen, wobei die drei genannten Akteure sogleich für die frühe Führung verantwortlich zeichneten. Ein Lehrbuch-Angriff: Christoph Keim verlagert mit Übersicht und weitem Diagonalpass von links auf Höhe der Mittellinie das Spielgeschehen auf die rechte Seite, wo der freigelaufene Thorsten Bauer gen Strafraum marschiert, etwas unsanft gestoppt wird, doch Schiedsrichter Kristek aus Büdingen auf Vorteil entscheidet, so dass Nutznießer "Latifi" mit blitzsauberem Lupfer über den herauseilenden Keeper Brill vollendete (4.).

Wer jetzt dachte, es läuft so wie beim letzten Auswärtssieg in Marburg wurde bitter eines anderen belehrt. Das lag zum einen daran, dass die Schwälmer aggressiver und vor allem mit mannschaftlicher Geschlossenheit und jeder Menge Leidenschaft dagegen hielten, während sich zum anderen bei den Löwen, die erstmals im neuen, weißen Dress antraten, wieder mal nach einem Gegentor wiederholt in dieser Saison der "Bazillus Unsicherheit" breit machte, der tief am Selbstvertrauen nagte. Kollektive Verunsicherung!

Statt zuvor auf das 2:0 zu drängen und an die Leistung der ersten Viertelstunde anzuknüpfen, wurder der Gegner ins Spiel gebracht und obendrein zum Ausgleichstor praktisch eingeladen. Der talentierte Tobias Damm, der über die "Jugend-Talentschmiede" FC Homberg und über den TSV Wabern zu Saisonbeginng zum Aufsteiger wechselte, lief Kapitän Thorsten Schönewolf davon und legte fast von der Grundlinie aus dem mitgelaufenen Frank Schultz auf, der bei seinem fünften Saisontor aus wenigen Metern gegen den chancenlosen KSV-Keeper Zoran Zeljko nurmehr einschieben brauchte (17.).
Was folgte war erwähnter "Bazillus Verunsicherung", der selbst vor dem zuletzt gegen Ober-Roden in der Defensive wegen seiner Abgeklärtheit und Ruhe noch überzeugenden Routinier Sven Teichmann nicht Halt machte. In der Spieleröffnung und im -aufbau - was allerdings nicht nur für den Neuzugang galt - offenbarten die Gäste enorme Defizite, was Schwalmstadt zusehends "aufbaute" und vorantrieb. Personifiziert durch Chrstian Frick, der sowohl Busch (23.) als auch Teichmann (38.) enteilt war und zum einen das Tor knapp verfehlte bzw. mit einem 20-Meter-Schuß am Pfosten scheiterte. Am Aluminium endete auch die Antwort des KSV, als sich Thorsten Bauer im Strafraum durchgesetzt hatte, gar Keeper Brill umkurvte, dabei jedoch in eine derart schwierige Schußposition geriet, das sein wohl überlegter Abschluss am Pfosten landete (40.). Zuvor hatte bereits Torschütze Latifiahvas Pech, als der 21jährige akrobatisch per Rechtsfuß eine Freistoßhereingabe verlängerte und Keeper Brill mit Mühe den Ball über sein Gehäuse lenken konnte (35.).

Längst hatte Trainer Thomale erkannt, wo´s in der Defensive hapert und so kam es zu taktischen Veränderungen. Für den gelb-rot-gefährdeten Sebastian Busch kam Nico Radler und rückte solgeich auf den Manndecker-Position gegen den flinken Frick, der fortan nicht mehr wie zuvor zur Wirkung kam. Sven Teichmann wurde ins Mittelfeld beordert, was sich zunächst auch gut anliess. Der 34jährige übernahm ebenso wie Christoph Keim Verantwortung, ohne dass jedoch zwingende Torchancen für den KSV heraus sprangen. Ein weiteres Übel, dass die Löwen neben der Verunsicherung seit Wochen einfach nicht los lässt, kam zum Tragen: die meisten Akteure sind zu sehr sehr mit der eigenen Form-Findung beschäftigt, so dass flüssige Kombinationen, geschweige denn ein konstruktiver Spielaufbau ausbleiben. Viele laufen, doch der Ball läuft nicht recht. Vom fehlenden Selbstvertrauen war bereits die Rede! Wettkampf-Typen (mit der nötigen Psyche halt!) sind jetzt gefragt, statt "Trainings-Weltmeistern".

Zoran Zeljko ist so ein Wettkampf-Typ und bewies in der 56. Minute bei einer der wenigen Konterchancen der Gastgeber sein Können, als der 35jährige KSV-Keeper nach Petersohn-Pass gegen Damm "Kopf und Kragen" riskierte.
Viel riskiet hatte nach seiner Einwechslung auch Julio Cesar da Rosa, der wiederholt "Zug zum Tor" demonstrierte, jedoch aus aussichtsreicher Position über das Tor schoss (79.) und wieder mal von seinem "Saison-Schicksal" getroffen wurde...! So wurde dem Brasilianer in dieser Saison bereits der dritte klare Strafstoss verwehrt. Zugegeben, als der 25jährige das erste Mal im Schwälmer Strafraum zu Fall kam, wurde er nicht mal berührt, doch beim zweiten Fall die Attacke von Battenberg war elfmeterreif.

Seis drum! Damit soll keineswegs die Niederlage beschönigt werden, die schließlich in der 79. Minute besiegelt wurde. Tragische Figur war Vorjahres-Erfolgsgarant Slawomir Chalaskiewicz, der in Ziegenhain nicht nur weiterhin seiner Form sondern in jener ominösen Szene auch Frick hinterherlief. Beide rangelten, zerrten, doch Frick fiel, was für den mit Gelb belasteten "Chala" die "Ampelkarte" bedeutete. Damit nicht genug, denn obwohl Zoran Zeljko den anschließenden Freistoß aus 18 Metern noch mit den Fingerspitzen an die Torlatte lenkte, reagierte Damm am schnellsten und "staubte" zum 2:1-Siegtor ab.
Auch in der Nachspielzeit, die wegen der verletzungsbedingten Spielunterbrechung von Torhüter Brill (70.) fünf Minuten betrug, gelang den Löwen nicht mehr der erhoffte Ausgleich, während der bisher so ausschwärtsstarke Aufsteiger Schwalmstadt seinen ersten Heimsieg enthusiastisch feierte.

Jenseits davon liess ein Löwe seiner Enttäuschung freien Lauf und bewies damit nicht nur Leidenschaft, Temperament sondern vor allem, mit welchem Herzblut er am KSV Hessen hängt: Zoran Zeljko! Erst der Ärger über den nicht gegebenen Elfmeter bei der Attacke gegen Julio Cesar, dann echauffierte sich der Kroate auch gegenüber manch unsachlicher Äußerung von Außen, wobei ein Löwen-Fan es beschwichtigend auf den Punkt brachte: "Wir sollten froh sein, dass wir einen Torwart wie Zoran haben."
Wohl war! Ebenso verdient es Respekt, dass einer Manns genug ist, auch mal unpopuläre Äußerungen preis zu geben und sich stets den Fans zu stellen!

<b>Blick voraus</b>: Es gibt sicher an der unbefriedigenden, sportlichen Situation nichts zu beschönigen, aber auch nicht zu lamentieren. Manches kann man im Sport und Fußball nunmal nicht auf der rationalen Ebene erklären! Gegen Eschborn und in den nächsten Wochen gilt es sich aktiv mit der gegenwärtigen, mißlichen Situation auseinander zusetzen, wobei Wettkampf- und krisenresistende Typen gefragt sind!
Bleibt abschließend als Fazit dieses emotionsgeladenen Derbys...selbst wenn es keine Rutsch-Partie wie vor fast 25 Jahren war und den Gastgebern auch auf diesem Weg eine aufrichtige Gratulation zum nicht mal unverdienten Sieg gebührt, bleibt damals wie heute festzuhalten:
...Löwen zu zahm!

<b>1. FC Schwalmstadt</b>: Brill (70. Berger) - Petersohn, Mangold, Schäfer, Battenberg - Schultz (64. Bojanic), Jäger (75. Andelic), Tica, J.Keim - Damm, Frick. Trainer: Sicaja.
<b>KSV Hessen</b>: Zeljko - Teichmann, Schönewolf, C.Keim - Tews, Busch (46. Radler), Chalaskiewicz, Schönefeld (60. Cesar) - Bauer, Latifiahvas (80. Nebe), Rudolph. Trainer: Thomale.

<b>SR</b>: Kristek (Büdingen) - <b>Zuschauer</b>: 1.500

<b>Tore</b>: 0:1 Latifiahvas (4.), 1:1 Schultz (17.), 2:1 Damm (79.)

<b>Gelb-Rote Karte</b>:
Chalaskiewicz (79.), Battenberg (90.)


<i><b>Herbert Pumann</b></i>

Aufstellung

Veröffentlicht: 02.10.2004

© KSV Hessen Kassel e.V.
Datum des Ausdrucks: 23.04.2024